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Kirche und NS
Ein Artikel von Klemens Hogen-Ostlender
„Man ist entweder Christ oder Deutscher. Beides kann man nicht sein.“
Dieses Zitat Adolf Hitlers hat der Danziger Senatspräsident Hermann Rauschning überliefert. Es macht deutlich: Der Nationalsozialismus stand dem Christentum unversöhnlich feindlich gegenüber. Es sollte verschwinden. Das war das erklärte Ziel der NS-Ideologie. Auf welche Weise das bewerkstelligt werden sollte, darüber waren sich die führenden Köpfe der NSDAP freilich nicht immer einig. Klar war nur: Im Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 und in den schon besetzten oder noch zu erobernden Ostgebieten sollte das unterschiedlich schnell und auf ganz unterschiedliche Weise geschehen – hüben erst nach dem Krieg gebremster Gewalt, drüben schneller und rücksichtslos brutal. Unterschiedlich war aber auch das Vorgehen der christlichen Kirchen mit der Frage, wie sie auf den Umsturz, der sich in Deutschland ereignet hatte, reagieren und wie SIE mit den neuen Machthabern umgehen sollten.
In seiner Regierungserklärung vom 21. März 1933 in der Potsdamer Garnisonkirche versuchte Adolf Hitler, ihnen Sand in die Augen zu streuen: „Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums. Sie wird die zwischen ihnen und den Ländern abgeschlossenen Verträge respektieren; ihre Rechte sollen nicht angetastet werden“, behauptete der Reichskanzler. Er versprach, er werde den Kirchen „den ihnen zukommenden Einfluss einräumen und sicherstellen“ und sehe „im Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes.“ Der letzte Satz wurde in der Parteizeitung „Völkischer Beobachter“ und in den meisten anderen deutschen Zeitungen allerdings nicht veröffentlicht.
Adolf Hitlers Traum vom „gelobten Land“
Schon vor der Machtübernahme hatten sich die katholischen Bischöfe vom Nationalsozialismus distanziert und allen Katholiken verboten, sich in der NSDAP zu engagieren. Gruppierungen der NSDAP durften in kirchlichen Prozessionen nicht mitmarschieren. Sämtliche Diözesen im Deutschen Reich erklärten 1932 die Zugehörigkeit zur NSDAP für unvereinbar mit dem christlichen Glauben. Nachdem sich Adolf Hitler aber mehrmals kirchenfreundlich geäußert hatte, zogen die Bischöfe ihre Unvereinbarkeitsbeschlüsse zurück, behielten aber ihre kritische Position bei: „Wir müssen nach wie vor Irrtum nennen, was Irrtum ist, Unrecht, was Unrecht ist.“[ Einer Mitgliedschaft von Geistlichen in der NSDAP standen sie weiter ablehnend gegenüber.
Adolf Hitler hatte für das Christentum, das er abseits der Öffentlichkeit als „organisierte Lüge“ bezeichnete, nur Verachtung übrig und sagte dessen „Zusammenbruch“ voraus. Von der Zeit danach träumte er als „gelobtes Land“. Erst wenn das „Kirchenproblem geklärt“ sei, werde „die deutsche Nation ganz gesichert sein“. Am 29. April 1937 sagte er vor Kreisleitern der NSDAP auf der NS-„Ordensburg“ Vogelsang in der Eifel: „Wir werden es niemals dulden, dass im völkischen Staat sich irgendetwas über die Autorität dieses völkischen Staates stellt. Es mag dies sein, was es sein will – auch keine Kirche“. Das ist innerhalb seiner Ideologie nur logisch. Schon in seinem Buch „Mein Kampf“ steht dieser rational abstruse Satz: „So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre kämpfe ich für das Werk des Herrn“.
Der Diktator hatte anfangs noch widerwillige Bewunderung für die „stählerne Willenskraft“ der katholischen Kirche und ihre Organisation, die er in „Mein Kampf“ als „vorbildliches Lehrbeispiel“ bezeichnete, empfunden. Im Laufe der Jahre steigerte sich der Hass bis zum 1941 geäußerten Vorwurf, das Christentum sei „der schwerste Schlag, der die Menschheit getroffen hat“. Sein Gesinnungswandel könnte damit zusammenhängen, dass er seine frühe Vorstellung, Religion strikt von Politik trennen zu können, als Illusion aufgeben musste. Seine Lebensaufgabe sah Hitler zuletzt in der Vernichtung der Kirchen nach dem Krieg. Bis dahin jedoch sollte abgewartet werden. Beim Oberpräsidium Koblenz ging deshalb im Dezember 1942 mit der Dienstpost eine „geheime Reichssache“ mit folgendem Inhalt ein: „Ich verbiete jeden Übergriff gegenüber der Katholischen Kirche […] Ich behalte mir persönlich die Abrechnung mit der Kirche nach Kriegsende vor. Unterzeichnet Adolf Hitler“.
In der Kirchenpolitik des Dritten Reichs kämpfte eine ganze Reihe Beteiligter um Macht und Einfluss. 1935 wurde ein Reichskirchenministerium eingerichtet, dessen Kompetenzen aber unter der Einmischung anderer Ressorts und Parteidienststellen litten. Der Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, die Sicherheitspolizei, der Reichsjugendführer, das Außenministerium und das Finanzministerium gehörten dazu. Sie kümmerten sich um die theologischen Fakultäten der Hochschulen, um Polizeiangelegenheiten mit kirchlichem Bezug, kirchliche Jugendverbände, Seelsorge bei der Wehrmacht und weitere Bereiche. Beim Kirchenminister, dem Protestanten Hans Kerrl, überwog nach Meinung des Reichsfinanzministers „der gute Wille den Verstand“. Kerrls kirchenpolitische Linie vertrat die Auffassung strenger Trennung von Kirche und Staat. Das war vor allem Alfred Rosenberg und Martin Bormann ein Dorn im Auge. Als Hans Kerrl 1941 starb, wurde kein neuer Minister ernannt, sondern das Ressort vom Staatssekretär weitergeführt.
Der NS-Ideologe Alfred Rosenberg, einer der wenigen führenden Nationalsozialisten, die aus der Kirche austraten, forderte in seinem 1930 erschienenem Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ eine neue „Religion des Blutes“, die das Christentum ersetzen sollte: „Der Mythus des römischen Stellvertreters Gottes muss hierzu ebenso überwunden werden wie der Mythus des ,heiligen Buchstabens´ im Protestantismus. Im Mythus von Volksseele und Ehre liegt der neue bindende, gestaltende Mittelpunkt. Ihm zu dienen ist Pflicht unseres Geschlechts.“ Das hinderte Rosenberg nicht daran, Martin Luther zu verehren. In ihm sah er das „wahre“ Christentum verkörpert, das durch die römisch-katholische Kirche und die Jesuiten verfälscht und „verjudet“ worden sei. Der Parteiideologe wehrte sich entschieden gegen den Vorwurf, er wolle den heidnischen Wotanskult wieder einführen. Sein Buch erreichte zwar eine Millionenauflage, aber seine Veröffentlichung kam Adolf Hitler sehr ungelegen. Bereits Ende der zwanziger Jahre war Weisung an alle Propagandastellen der NSDAP ergangen, in der Öffentlichkeit den Antisemitismus zurückzuschrauben und stattdessen die Agrar- und Außenpolitik der Partei in den Vordergrund zu stellen. Rosenbergs radikal antisemitisches und von der Kirche als antichristlich kritisiertes Buch bot nun Christen neue Angriffsflächen gegen die NSDAP. Die Partei erklärte es deshalb notgedrungen zur „inoffiziellen Privatarbeit“.
Perverser „Katechismus“
Bei allem Hass auf das Christentum und aller Verachtung vor allem für die katholische Kirche, nahm sich einer der fanatischsten Nationalsozialisten, Heinrich Himmler, dennoch einen katholischen Orden, die Jesuiten, zum Vorbild für seinen eigenen „Schwarzen Orden“. In der Gesellschaft Jesu sah er das verwirklicht, was er zum Kern seiner verschworenen Gemeinschaft machen wollte: Die SS war keiner weltlichen Jurisdiktion unterworfen, hatte abgesehen von der letzten Phase ihrer Existenz strenge Aufnahmebestimmungen und wurde zusammengehalten durch das Gelübde absoluten, blinden Gehorsams gegenüber dem „Führer“. Auch die Spitzengliederung des Jesuitenordens nahm Himmler als Vorbild für die zentrale Befehlsstruktur der SS.
Ein eigener „Katechismus“ sollte den SS-Mann noch fester in den perversen Kult einbinden und mit seinen Fragen und Antworten „Im Glauben festigen“. Ein Beispiel: „Warum glauben wir an Deutschland und den Führer?“ Antwort: „Weil wir an einen Herrgott glauben, glauben wir an Deutschland, das er in seiner Welt geschaffen hat, und an den Führer Adolf Hitler, den er uns geschickt hat.“
Für die Zeit nach dem „Endsieg“ plante Himmler die Eliminierung aller christlichen Wurzeln und den Ausbau einer neuen, „völkischen“ Pseudoreligion, wie sie auch der Staatssekretär im Reichsjustizministerium, Curt Ferdinand Rothenberger, verinnerlicht hatte: „Priester sind wir, denn wir pflegen die Gerechtigkeit und verkünden die Kenntnis des Guten und Gerechten“.
Auf der Wewelsburg bei Paderborn wurden KZ-Häftlinge für die Errichtung des sakralen Zentrums des SS-Kultes geschunden. Die Ergebnisse der ersten Bauphase sind noch heute sichtbar: Ein Festsaal für die Gruppenführer und eine monumentale Gruft für Totenfeiern. Der SS befahl Himmler, Hochzeiten und Taufen nach eigenem Ritus zu feiern. Der „Reichsführer“ ließ allen Ernstes nach dem „Heiligen Gral“, einem Kelch mit dem am Kreuz vergossenen Blut Christi, suchen. Nach Tibet schickte er „Forscher“, die dort nach Spuren des „Urariers“ suchen sollten. In der SS wurde tatsächlich verwirklicht, wozu den Nationalsozialisten für das deutsche Volk insgesamt nur erste Schritte gelangen: Die christlichen Feste so umzugestalten, dass sie den Vorstellungen von vermeintlichem „germanischem Erbe“ entsprachen. Weihnachten wurde durch ein „Julfest“ ersetzt. Der NS-„Jahresfestkalender“ mit „Tag der Machtergreifung“ 1. Mai, Sommersonnenwende, Reichsparteitag, Reichserntedankfest und Wintersonnenwende sollten die christlichen Feiertage und deren Brauchtum vollständig ersetzen. Für die größeren Feiern war ein „arteigenes Brauchtum“ in Vorbereitung, was unter anderem durch Forschungseinrichtungen wie das SS-Ahnenerbe verwirklicht werden sollte. Es sollte vor allem „wissenschaftliche“ Belege für die Überlegenheit der so genannten „arischen Rasse“ finden. Zum Julfest verschenkte Himmler so genannte Julleuchter.
Ab 1935 erschienen Dienstanweisungen der Parteistellen, Schulungsunterlagen der Hitler-Jugend, des NS-Lehrerbundes und der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ mit anschaulichem Bildmaterial für öffentlich ausgerichtete Weihnachtsfeiern als Grundlage für eine Umerziehung des Volkes. Für Familien wurden Weihnachtsbücher mit Vorschlägen zur privaten Festgestaltung herausgegeben. Der Christbaum sollte in „Jultanne“ umbenannt werden, Frau Holle Nikolaus und Christkind als Gabenüberbringer ablösen, Christliche Symbolik wie Kreuz und Weihnachtsstern durch das Hakenkreuz oder Sonnenrad ersetzt werden. Adolf Hitler sollte gewissermaßen anstelle von Jesus Christus zum Messias und Welterlöser stilisiert werden. In der Vorkriegszeit beeinflusste das Propagandaministerium über das Winterhilfswerk des Deutschen Volkes das Weihnachtsfest. Es wurde vor der Bevölkerung als „Fest des ganzen Volkes über Klassen, Stände und Konfessionen hinweg“ inszeniert. Während des Zweiten Weltkrieges vereinnahmte die nationalsozialistische Führung das Weihnachtsfest als Kriegspropaganda. Der Versand von Feldpostpäckchen, die Produktion und Ausstrahlung von so genannten Weihnachtsringsendungen im Rundfunk sowie die Ausrichtung von Weihnachten als Fest der Helden- und Totenverehrung gehörten zum festen Bestandteil in diesen Jahren.
Mordaktion
Nur im kleinen Kreis, so zum Beispiel beim Abendessen am 4. Juli 1942 in seinem Hauptquartier „Wolfsschanze“, sprach Adolf Hitler Klartext: Er könne sich vorstellen, dass ein Mann wie der selig gesprochene Münsteraner Bischof von Galen wisse, dass nach Beendigung des Krieges mit ihm auf Heller und Pfennig abgerechnet werde. Wenn es von Galen nicht gelinge, sich vorher in das Collegium Germanicum nach Rom berufen zu lassen, könne er auch versichert sein, dass ihm bei dieser Abrechnung kein Tüpfelchen vergessen werde. Hitler hasste Clemens August Kardinal von Galen, nicht nur, weil der Bischof von Münster das Euthanasieprogramm gestoppt hatte. Der Diktator sah in ihm auch den Urheber zahlreicher „parteifeindlicher“ Hirtenbriefe, Kanzel-Ankündigungen und Rundschreiben der deutschen Katholischen Bischöfe. In der Nacht zum 26. Januar 1942 hatte der „Führer“ in seinem Hauptquartier bereits eine harte Linie gegen katholische und protestantische Kirche angekündigt: „Ich schrecke vor dem Kampf nicht zurück, den ich, wenn es darauf ankommt, führen werde, und ich werde sofort handeln, falls die Prüfung ergibt, dass es geschehen kann“. Dr. Henry Picker, ein glühender Nationalsozialist, hat diese und viele andere Äußerungen mitgeschrieben.
Von Galen, der Bischof von Münster, hatte sich mit einer couragierten Aktion Hitler zum Feind gemacht, der im Herbst 1939 die massenhafte Tötung „unheilbarer Kranker“ als „unwertes Leben“ befohlen hatte. Allmählich breiteten sich trotz strenger Geheimhaltung Gerüchte darüber aus. Menschen, die in der Nähe der Tötungsanstalten wohnten, sahen immer wieder Busse mit neuen Insassen kommen. Nie aber verließ jemand die Kliniken, deren Krematoriums-Schornsteine allerdings unaufhörlich rauchten und den Geruch verbrannten Fleischs verbreiteten. Eins der Opfer der Mordaktion war ein 14jähriger Junge mit Down-Syndrom aus der Nähe von Traunstein in Bayern. Eines Tages wurde er „zur Therapie“ daheim abgeholt und in eine Anstalt gebracht. Kurz darauf erhielt seine Familie die Nachricht, dass er „verstorben“ sei. 55 Jahre später berichtete der Vetter des Jungen, Kardinal Joseph Ratzinger, bei einer Konferenz im Vatikan über dieses Ereignis – einen Fall von vielen, die sich schließlich in Deutschland herumsprachen.
Vergeltungsmaßnahmen des Regimes
Protestbriefe gegen die Vergasungen erreichten die Parteikanzlei und das Justizministerium – einige auch von eingefleischten Nationalsozialisten. Am 7. Juli 1941 ließen die Bischöfe der Fuldaer Bischofskonferenz von den Kanzeln herab einen Hirtenbrief verlesen, in dem betont wurde, es sei Unrecht, zu töten, außer in einem Krieg, der der Selbstverteidigung dient. Einen direkten Hinweis auf die Euthanasieaktion gab es darin allerdings nicht. Die gemeinsame Aktion hatte den Vorteil, dass die Nationalsozialisten nicht einen einzelnen Bischof als „Sündenbock“ betrafen konnten, andererseits aber davor zurückschreckten, einen ganzen Episkopat zu bestrafen. Adolf Hitler stellte jedenfalls resigniert fest, dass es aussichtslos sei, gegen die Botschaft vorzugehen. Er ordnete an, „dass nicht gegen den Hirtenbrief polemisiert werden soll, dass die Presse vielmehr die Verbundenheit mit der Ostfront herausstellen möge und durch ehrliche, reale Berichterstattung entgegenwirken soll“. Trotzdem hatte die Zurückhaltung Gründe. Nicht alle Geistlichen kamen so glimpflich davon wie der Bischof von Münster. Der Kaplan August Franzen aus Königswinter bei Bonn z.B. musste wegen einer Predigt am 2. November 1941 ein Ordnungsgeld von 500 Reichsmark zahlen. Er hatte gesagt, dass Geistliche bereits als eingezogene Soldaten ihr Leben für das Vaterland geopfert hätten – und hinzugefügt, dass ihnen der Dank des Vaterlandes gewiss sei. Im Raum Düsseldorf wurden drei Priester im selben Monat in „Schutzhaft“ genommen, weil sie die „Hetzpredigten“ von Galens weiterverbreitet hatten. Die selig gesprochenen Lübecker Kapläne Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller wurden mit dem evangelischen Pastor Karl Friedrich Stellbrink 1943 wegen „Heimtücke, Feindbegünstigung und Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der Dominikanerpater Odilo Braun, der Vorsitzende der regimekritischen Superioren-Konferenz mehrere katholischer Orden, kam wegen „Verdacht des versuchten Hochverrats und Organisierung des Widerstandes gegen Klösterbeschlagnahme“ für vier Monate in Haft.
Am 3. August prangerte der nach dem Krieg zum Kardinal erhobene von Galen in seiner Sonntagspredigt im Dom St. Alberti in mutigen Worten ganz konkret an, dass es eine organisierte Tötungsaktion gab. Die britischen Bombenangriffe auf Münster und andere deutsche Städte bezeichnete er als Gottes Strafe für die Verletzung des Gebots „Du sollst nicht töten“. Um eine möglichst weite Verbreitung zu erreichen, hatte der Bischof selbst für die Vervielfältigung seiner Predigttexte gesorgt. Bald kursierten darüber hinaus außerdem unzählige handschriftliche Kopien. Sie gelangten auch in die Hände der Alliierten, die sie wiederum als Flugblätter über Deutschland abwarfen.
Von Galen war ein Konservativer, er hatte auch vor der Gefahr des Bolschewismus für Deutschland gewarnt. Er galt deshalb anfangs vielen als Sympathisant des Regimes. Schon vor der erwähnten Predigt hatte er aber die Unterdrückung der religiösen Orden in der Stadt durch die Gestapo von der Kanzel herab kritisiert. Der Bischof hatte im Juli sogar Adolf Hitler in einem Telegramm aufgefordert, das Volk vor der Geheimpolizei zu schützen. Funktionäre der NSDAP drangen daraufhin bei Martin Bormann darauf, den Bischof hinrichten zu lassen. Der „Reichsleiter“ antwortete, sicherlich wäre die Todesstrafe angebracht. Mit Rücksicht auf die Kriegsumstände werde aber „der Führer diese Maßnahme kaum anordnen“.
Von Galens Protest hatte Erfolg. Am 24. August befahl Adolf Hitler das Ende der Euthanasie-Morde, statt dessen wurden die Insassen der Heime durch gezielt zu kleine Nahrungsrationen zum Hungertod bestimmt. Auch andere Kirchenvertreter, deren Aktionen weniger bekannt wurden, protestierten gegen die Tötungen. Der Bischof der Diözese Rottenburg, Joannes Baptista Sproll, bezog öffentlich Stellung gegen das Terror-Regime und wurde seiner Diözese verwiesen. Sein Generalvikar, Max Kottmann, überreichte in Berlin ein Protestschreiben Sprolls gegen die Mordaktion. Er durfte im Amt bleiben und den Bischof vertreten – offenbar, weil die Nationalsozialisten während des Krieges das Aufsehen vermeiden wollten, das die Einsetzung eines neuen Bischofs bedeutet hätte.
Der Bischof von Berlin, Konrad Graf von Preysing, wandte sich in einem Hirtenbrief im Dezember 1942 gegen die NS-Ideologie und die Rassenpolitik, er gründete außerdem ein kirchliches Hilfswerk für Juden und christliche „Nichtarier“ zur Vermittlung von Auswanderungsmöglichkeiten, zur Versorgung mit Lebensmitteln und zur Beschaffung von Wohnraum. Preysing selbst wurde nicht verfolgt. Der selig gesprochene Dompropst von Berlin, Bernhard Lichtenberg, der das Hilfswerk leitete, wurde aber verhaftet und misshandelt, nachdem er bei der Gestapo schriftlich gegen das KZ-System protestiert hatte. Nach einem weiteren Protest gegen die Ermordung unheilbarer Kranker und Behinderter wurde er zum zweiten Mal verhaftet und wegen „Kanzelmissbrauchs“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Danach sollte er ins KZ Dachau eingeliefert werden, starb jedoch, im Gefängnis schwer erkrankt, auf dem Transport dorthin.
Der Kapitularvikar von Paderborn, Augustinus Philipp Baumann, erhob ebenfalls schriftlich Einspruch „gegen das systematische Massenmorden“. Der Bischof von Limburg, Antonius Hilfrich, protestierte beim Reichsjustizministerium brieflich gegen die nahe gelegene Tötungsanstalt Hadamar. Auch Erzbischof Conrad Gröber aus Freiburg wurde in Berlin gegen die Mordaktion vorstellig. Von protestantischer Seite schalteten sich Paul Gerhard Braune, Leiter der Hoffnungstaler Anstalten in Lobethal, Theophil Wurm, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg sowie Friedrich von Bodelschwingh, Leiter der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, ein.
Der katholische Bischof von St. Pölten, Michael Memelauer, brandmarkte in seiner Predigt in der Silvesterandacht des Jahres 1941 in seiner Kathedrale, dass in der gut 100 Kilometer entfernten Tötungsanstalt Schloss Hartheim die Morde in der Gaskammer auch nach der offiziellen Ende der „Euthanasie“ weitergingen. In Hartheim wurden bis ins Jahr 1944 hinein KZ-Häftlinge, darunter auch Priester aus dem KZ Dachau, umgebracht. Memelauer bekräftigte in seiner Predigt, dass „jede gewalttätige Beseitigung eines Menschenlebens ein Eingriff in die heiligen Gottesrechte und eine Verletzung der natürlichen Menschenrechte“ sei. Das gelte auch für die Vernichtung des so genannten unwerten und unproduktiven Lebens: „Vor unserem Herrgott gibt es kein unwertes Leben“. Der Bischof unterstrich: „Auch der Unglückliche, dessen Sinne verwirrt sind, auch das Kind, das als Krüppel auf die Welt kommt, auch der Kranke und Sieche und vom Alter Gebrochene hat ein Recht auf das Leben, solange ein allweiser Gott ihm das Leben erhält“. Die Missachtung dieses Gesetzes müsse die Strafe Gottes herausfordern.
Vergeltung
Der Protest unter anderem des Bischofs von Münster hatte Erfolg. Ein Ereignis aus dem Jahr danach zeigte aber auch, dass solche öffentliche Kritik gefährlich und schädlich sein konnte. Die gebürtige Jüdin Edith Stein, die 1998 heiliggesprochen wurde, war nach ihrer Konversion unter dem Ordensnamen Teresia Benedicta a Cruce OCD (Teresia Benedicta vom Kreuz) in den Karmel in Köln eingetreten. Weil Konversion zum Christentum die Nationalsozialisten nicht davon abbrachte, die Betreffenden als Juden zu verfolgen, schickte der Orden sie zu ihrer eigenen Sicherheit mit ihrer Schwester Rosa 1939 ins Kloster im niederländischen Echt. Als während der deutschen Besatzung der Niederlande dort die Deportation von Juden begann, veröffentlichte der katholische Erzbischof von Utrecht, Johannes de Jong, am 26. Juli 1942 einen Hirtenbrief gegen das Vorgehen der Deutschen. Als Reaktion darauf wurden 244 zum Katholizismus konvertierte ehemalige Juden, darunter auch Edith und Rosa Stein, am 2. August 1942 von der Gestapo verhaftet und zunächst in das Durchgangslager Westerbork gebracht. Von dort kamen die beiden Schwestern Stein mit der Reichsbahn in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und wurden dort am 9. August 1942 in der Gaskammer ermordet.
Für Reinhard Heydrich, den Leiter des Reichssicherheitshauptamts, war die nationalsozialistische Wahrnehmung der Aktivitäten der katholischen Seelsorger bestimmt vom Bild des politischen Geistlichen, der neben Juden, Kommunisten und Freimaurern als wichtigster Staats- und Volksfeind angesehen wurde. Unbestritten war immer: Das Christentum war ein Hauptfeind der Nazi-Ideologie, dem nur eine „Schonfrist“ bis nach dem „Endsieg“ gewährt werden sollte. Dann hätte sich das System stark genug dafür gefühlt, die christliche Religion genauso wie die jüdische auszulöschen. Im Osten des geplanten Großgermanischen Reiches hätte das auch die Auslöschung des Lebens von dutzenden Millionen Christen bedeutet.
Reichsleiter Martin Bormann, Chef der Parteikanzlei, erläuterte am 6. Juni 1934 in einem Geheimerlass an alle Gauleiter der NSDAP das Verhältnis der Partei zum Christentum. Er ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Nationalsozialistische und christliche Auffassungen sind unvereinbar. […] Unser nationalsozialistisches Weltbild steht weit höher als die Auffassungen des Christentums, die in ihren wesentlichen Punkten vom Judentum übernommen worden sind. Auch aus diesem Grunde bedürfen wir des Christentums nicht. […] Wenn also unsere Jugend künftig einmal von diesem Christentum, dessen Lehren weit unter den unseren stehen, nichts mehr erfährt, wird das Christentum von selbst verschwinden. […] Aus der Unvereinbarkeit nationalsozialistischer und christlicher Auffassungen folgt, dass eine Stärkung bestehender und jede Förderung entstehender christlicher Konfessionen von uns abzulehnen ist. Ein Unterschied zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen ist hier nicht zu machen. […] Alle Einflüsse, die die durch den Führer mit Hilfe der NSDAP ausgeübte Volksführung beeinträchtigen oder gar schädigen konnten, müssen ausgeschaltet werden. Immer mehr muss das Volk den Kirchen und ihren Organen, den Pfarrern, entwunden werden. Selbstverständlich werden und müssen die Kirchen, von ihrem Standpunkt betrachtet, sich gegen diese Machteinbuße wehren. Niemals aber darf den Kirchen wieder ein Einfluss auf die Volksführung eingeräumt werden. Dieser muss restlos und endgültig gebrochen werden. […] Erst, wenn dieses geschehen ist, hat die Staatsführung den vollen Einfluss auf die einzelnen Volksgenossen. Erst dann sind Volk und Reich für alle Zukunft in ihrem Bestande gesichert.“
Der Plan zur Errichtung einer evangelischen Reichskirche unter Zusammenschluss der verschiedenen evangelischen Kirchen sei endgültig aufgegeben worden, „weil die evangelische Kirche uns genauso feindlich gegenübersteht wie die katholische Kirche“. Jede Stärkung der Protestanten würde sich „lediglich gegen uns auswirken“.
Am 20. Oktober 1939 richtete Reinhard Heydrich einen Bericht über die gegenwärtige politische Haltung der Kirchen und Sekten an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers. Nicht ohne Stolz bilanzierte der Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes die erfolgreiche Zurückdrängung der christlichen Kirchen zwischen 1934 und 1939: Die kirchlichen Vereine seien weitgehend zerstört, die Konfessionsschulen beseitigt, der Religionsunterricht zum Teil aus den Schulen verbannt, kirchliche Morgenfeiern im Rundfunk unterbunden, Abgaben erhöht und Staatszuschüsse reduziert worden. Außerdem sei der Prozentsatz der Theologiestudenten unter den Abiturienten von seit 1937 von 3,85 Prozent auf zwei Prozent zurückgegangen.
Das „Problem Christentum“ lieber aussitzen als anpacken wollte auch Adolf Hitler mehrfach. Zumindest hat er sich im kleinen Kreis so geäußert. Am 13. Dezember 1941 wünschte er sich beispielsweise, das Christentum müsse vom Volkskörper „abfaulen wie ein brandiges Glied. So weit müsste es kommen, dass auf der Kanzel nur lauter Deppen stehen und vor ihnen nur alte Weiblein sitzen“. Am 27. Februar 1942 mutmaßte er, dass diese Taktik allerdings einen langen Atem erfordern könnte. Bis zum „Zusammenbruch dieser Sache“ könne es „100 oder 200 Jahre noch dauern“. Ihm tue es „leid, dass ich wie Moses das gelobte Land nur aus der Ferne sehen kann“. Andererseits teilte Reichsinnenminister Lammers dem Gauleiter des Reichsgaus Württemberg-Hohenzollern, SS-Obergruppenführer Wilhelm Murr, im Juli 1940 mit, „dass der Führer wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, dass während des Krieges alle nicht unbedingt notwendigen Maßnahmen vermieden werden sollen, die das Verhältnis des Staates und der Partei zur Kirche verschlechtern könnten“. Für die Zeit nach Kriegsende behielt sich Hitler aber „persönlich die Abrechnungen mit den Kirchen […] vor“.
Unvereinbarkeit
Ein Erlass von Robert Ley, dem Führer der „Deutschen Arbeitsfront“, hatte schon am 28. April 1943 die doppelte Mitgliedschaft in dieser Organisation und in den katholischen Arbeiter- und Gesellenvereinen verboten. Das war ein tödlicher Stoß für solche Vereine, weil schon bald niemand in Deutschland noch eine Anstellung fand, der der Arbeitsfront nicht angehörte. Proteste mehrere katholischer Bischöfe, darunter von Galens, blieben wirkungslos. Die Ausschaltung missliebiger innerparteilicher Konkurrenz auf Adolf Hitlers Befehl am 30. Juni 1934 durch Massenmorde (die Rache-Aktion gegen den so genannten Röhm-Putsch) nutzte die NSDAP dazu, „nebenbei“ auch verschiedene prominente Katholiken zu ermorden. Zu ihnen gehörten Dr. Erich Klausener, den Leiter der „Katholischen Aktion“ in Berlin, und Adalbert Probst, den Leiter der „Deutschen Jugendkraft“ (DJK). In Missachtung der damals noch gültigen katholischen Lehre wurden ihre Leichname verbrannt. Die Asche schickte man den Familienangehörigen zu.
Auch der schon monatelang gefangene katholische Journalist Fritz Gerlich wurde von München ins KZ Dachau gebracht und ermordet. Er hatte mit seiner Zeitung „ der gerade Weg“ mutig versucht die Machtergreifung Hitlers zu verhindern. Ein Seligsprechungsverfahren wurde für ihn eröffnet.
Mit brennender Sorge
Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal von Faulhaber, war Verfasser der Enzyklika „Mit brennender Sorge“, mit deren Veröffentlichung am 21. März 1937, dem Palmsonntag, jenes Jahres, Papst Pius XI. unter Mitwirkung seines Staatssekretärs Eugenio Pacelli, des späteres Papstes Pius XII, den Nationalsozialismus scharf angriff. Das in deutscher Sprache verfasste Lehrschreiben begann so: „Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treu bleibenden Bekenner und Bekennerinnen.“ In Deutschland sei ein Vernichtungskampf gegen die Kirche im Gange. Der Papst warnte davor, mit Begriffen wie Volk, Rasse und Staat einen Götzenkult zu betreiben und verurteilte er die „Irrlehre von einem nationalen Gott“. Pius XI. betonte: „Gott hat in souveräner Fassung Seine Gebote gegeben. Sie gelten unabhängig von Zeit und Raum, von Land und Rasse. So wie Gottes Sonne über allem leuchtet, was Menschenantlitz trägt, so kennt auch Sein Gesetz keine Vorrechte und Ausnahmen. Regierende und Regierte, Gekrönte und Ungekrönte, Hoch und Niedrig, Reich und Arm stehen gleichermaßen unter Seinem Wort“. In der Einleitung der Enzyklika hieß es weiter, wenn der von der Kirche durch Unterzeichnung des Konkordats vom 20. Juli 1933 „in lauterer Absicht in die deutsche Erde gesenkte Friedensbaum nicht die Früchte gezeitigt hat, die Wir ersehnten“, werde „niemand in der weiten Welt, der Augen hat, zu sehen, und Ohren, zu hören, heute noch sagen können, die Schuld liege auf Seiten der Kirche und ihres Oberhauptes“. Das Verhalten des Nationalsozialismus in den Jahren seit der Unterzeichnung enthülle „Machenschaften, die von Anfang an kein anderes Ziel kannten als den Vernichtungskampf“. Wenn aber „ohne unsere Schuld der Friede nicht sein soll, dann wird die Kirche Gottes ihre Rechte und Freiheiten verteidigen im Namen des Allmächtigen“, so einer der letzten Sätze des päpstlichen Lehrschreibens.
In den Augen der Nationalsozialisten war die Enzyklika ein „hochverräterischer Angriff“, dessen Verlesung von den Kanzeln sie gerne verhindert hätten nach dem die Gestapo am 20. März 1937, einen Tag vor der Veröffentlichung, von ihr erfahren hatte. Joseph Goebbels, Reichsminister für Propaganda und „Volksaufklärung“, riet zum „tot stellen und ignorieren“ der seiner Meinung nach gegen Deutschland gerichteten Provokation und Kampfansage. Statt spektakulärer Verhaftungen plädierte er für Bestrafungsaktionen im Nachhinein. Am Palmsonntag, dem 21. März, wurde das Schreiben in fast allen 11500 katholischen Pfarreien des Deutschen Reiches verlesen und außerdem unter der Hand in hoher Auflage verteilt.
Reinhard Heydrich beauftragte die Gestapo, die Verlesung zu überwachen und alle außerhalb der Kirchen greifbaren Exemplare zu beschlagnahmen. Wenige Wochen später wurden sämtliche Druckereien, die die Enzyklika unter großer Geheimhaltung gedruckt hatten, ausnahmslos enteignet. Das Regime nahm seine Kampagne gegen die Kirche sowie die Schauprozesse gegen Ordensleute demonstrativ wieder auf. Auch gegen die zweite totalitäre Macht in Europa, Stalins Sowjetunion, veröffentlichte der Papst übrigens in jenem Jahr ein Lehrschreiben. Bereits am 19. März erschien die Enzyklika „Divini Redemptoris“, in der die Kirche Materialismus und Marxismus verurteilte.
Einige führende Vertreter der NSDAP, allen voran Hitler und Himmler, waren im Gegensatz zu ihrem Hass auf das Christentum vom Islam fasziniert und haben ihre Sympathie auch wiederholt bekundet. Der deutsch-iranisch-stämmige Historiker David Motadel hat dieses Phänomen beleuchtet, das der nationalsozialistischen Rasseideologie zu widersprechen scheint. Wenn Adolf Hitler während der Kriegsjahre die katholische Kirche kritisierte, verglich er sie oft mit dem Islam als gewissermaßen „positivem Gegenbeispiel“. Während er den Katholizismus immer wieder als schwache, verweichlichte Religion verurteilte, lobte er den Islam oft als starke, aggressive Kriegerreligion. Am 13. Dezember 1941 gab er beim Mittagessen in der „Wolfsschanze“ zu Protokoll: „Der Mohammedanismus könnte mich noch für den Himmel begeistern“ und verunglimpfte das Christentum als „Verhöhnung alles Göttlichen“. Im Gegensatz zu früheren herablassenden Äußerungen über Völker wie Inder und Araber gab es schon kurz vor dem Krieg keine Diskriminierung mehr gegen Türken, Iraner und Araber, nachdem die Regierungen in Teheran, Ankara und Kairo interveniert hatten, weil sie sichergehen wollten, dass die deutschen Rassegesetze nicht gegen Bürger ihrer Länder angewendet würden. Als deutsche Truppen dann in muslimisch besiedelten Gebieten in Nordafrika und Zentralasien auf dem Vormarsch waren, kam der Versuch hinzu, Muslime als Kämpfer für deutsche Hilfstruppen zu gewinnen. Nachgiebigkeit gegenüber dem Islam war für die Nationalsozialisten also vor allem realpolitisches Mittel zum Zweck.
Zurück zum Christentum, Zu Beginn des „Dritten Reichs“ hatte es auch Kirchenvertreter gegeben, die Hitlers Absichten und sein brutales Vorgehen bei deren Durchsetzung (ohne den Vorteil des heutigen Rückblicks auf die Entwicklung der Ereignisse) nicht durchschauten. Erich Klausener etwa verstand es, die Diaspora-Katholiken der deutschen Reichshauptstadt in Großkundgebungen zusammenzuführen. Bei einer solchen Gelegenheit hielt er es für möglich, die Herrschaft der neuen Regierung durch eine „Revolution der inneren, geistigen Erneuerung“ in eine positive Richtung zu lenken. Dem Jesuitenpater Friedrich Muckermann wird heute eine Äußerung von 1923 zum Vorwurf gemacht: „Wenn einer käme, der es verstände, das Nationale und das Soziale in eine neue Einheit zu binden, darauf dann das Programm der Zukunft zu bauen, ein solcher Mann könnte Wunder wirken in Deutschland.“ Als Muckermann durchschaute, wohin die Reise gehen sollte, entwickelte er sich schon bald nach der „Machtergreifung“ zum leidenschaftlichen Kämpfer gegen den Nationalsozialismus. Er tat, was für ihn die Pflicht eines deutschen Patrioten war, wurde von Nationalsozialisten aber als „Vaterlandsverräter“ angesehen. Schon 1931 machte er sich Gedanken über die Überwindung des Nationalsozialismus. Dessen Ideologie wurde für ihn zu einem System der Lüge im Dienste Luzifers. In der Zeitschrift „Der Gral“ deutete Muckermann 1934 aus dem niederländischen Exil die politischen Auseinandersetzungen der damaligen Zeit als Schlacht zwischen Christus und dem Fürsten der Hölle. Trotzdem wird dem 1946 gestorbenen Pater heute vorgeworfen, nicht früh genug vor der NS-Herrschaft gewarnt zu haben.
Auch manche Ordensleute konnten Sympathien für die neuen Machthaber nicht verhehlen. Der ehemalige Benediktinerabt Alban Schachleiter beispielsweise wurde vom Münchener Kardinal Michael von Faulhaber suspendiert und mit Ausschluss vom öffentlichen Empfang der Kommunion belegt.
Etliche Katholiken erhoben ihre Stimme zum Protest oder wirkten beim organisierten Widerstand verschiedenster politischer Richtungen mit. Am 19. Juni 1943 brandmarkten die katholischen deutschen Bischöfe in ihrem Hirtenbrief die Ermordung von „Menschen fremder Rassen und Abstammung“ und traten „für die schuldlosen Menschen“ ein. Auch eine ganze Reihe von Klöstern und Ordensleuten war an aktiven Widerstandsbewegungen beteiligt, etwa das Dominikanerkloster Heilig Kreuz in Köln, in dem sich die verbotene katholische Studentenbewegung „Unitas“ regelmäßig traf.
Deutsche Christen
Zur Zerreißprobe wurde der NS-Staat für die Deutsche Evangelische Kirche (DEK). Die 1931 in Thüringen gegründeten „Deutschen Christen“ (DC) hatten als Logo, wie man es heute nennen würde, Kreuz, in das ein Hakenkreuz integriert war. Sie übernahmen 1933 die Leitung einiger Landeskirchen der DEK. 1934 gründete sich als Gegenpol die „Bekennende Kirche“ (BK). Sie konnte sich zunächst auf fast ein Drittel, später noch auf knapp ein Fünftel der rund 19000 protestantischen Geistlichen stützen. Ihre Gottesdienste und Gemeindeveranstaltungen wurden observiert, die Pfarrer waren vielfältigen Schikanen wie Haussuchungen, Zwangsversetzungen und Zwangspensionierungen ausgesetzt. Einige landeten dafür im KZ wie z.B. Pastor Wilms, der ins KZ Dachau gebracht wurde.
Der in Pferdsfeld, heute Bad Sobernheim, geborene evangelische Pfarrer Paul Robert Schneider etwa gehörte der Bekennenden Kirche an. Als Pfarrer in Hochelheim protestierte er ab Herbst 1933 gegen die „Deutschen Christen“, das Glockenläuten für politische Zwecke, die Eingliederung der Evangelischen Jugend in die Hitlerjugend und die Lehren Alfred Rosenbergs. Zum Eklat kam es, als Schneider Zeitungsartikel von Joseph Goebbels und Ernst Röhm öffentlich scharf kritisierte, die die kirchliche Lehre über sexuelles Verhalten als „verschrobenes Moralin“ verhöhnten. Er wurde schließlich von seinem Pfarramt beurlaubt und auf den Hunsrück zwangsversetzt.
Schon bald geriet er dort im Juni 1934 erneut in Konflikt mit den Nationalsozialisten. Während der kirchlichen Trauerfeier für einen 18-Jährigen, der Mitglied der Hitlerjugend gewesen war, verwahrte Schneider sich energisch dagegen, dass der NS-Kreisleiter zweimal das Wort ergriff und dem Verstorbenen wünschte, er möge in den „himmlischen Sturm Horst Wessels“ einziehen. Am folgenden Tag wurde Schneider für eine Woche in „Schutzhaft“ genommen.
Sein Eintreten für eine bekenntnis- und bibelgemäße Unterweisung der Kinder in Kirche und Schule führte Anfang 1937 zu einer weiteren Konfrontation. Er erreichte, dass das Presbyterium seiner Gemeinde in Womrath bei Simmern zwei Volksschullehrer, die den Religionsunterricht für ihre politisch-ideologische Agitation missbrauchten, vom Abendmahl ausschloss.
Schneider wurde daraufhin am 31. Mai 1937 erneut verhaftet, in das Gestapo-Gefängnis Koblenz gebracht, aus der Haft entlassen und aus dem Rheinland ausgewiesen. Da er den Ausweisungsbefehl missachtete, wurde er am 3. Oktober 1937 wieder verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert.
An „Führers Geburtstag“, am 20. April 1938, weigerte er sich dort, beim Fahnenappell die Mütze vor der Hakenkreuzflagge, die ein Verbrechersymbol sei, anzunehmen. Nach der Bestrafung auf dem Prügelbock wurde über ein Jahr lang im Arrestgebäude, dem „Bunker“, in strenger Einzelhaft von einem sadistischen Aufseher schwer misshandelt. Trotzdem zog Schneider sich immer wieder an den Gitterstäben hoch, um den auf dem Appellplatz versammelten Häftlingen das Evangelium zu verkündigen und Folter und Mord anzuprangern, bis er unter den brutalen Stockschlägen des Aufsehers verstummen musste.
Da Schneider es strikt ablehnte, nach einer eventuellen Entlassung über seine Erlebnisse im Konzentrationslager Stillschweigen zu bewahren, wurde er am 18. Juli 1939 auf der Krankenstation durch eine Spritze mit einer Überdosis des Herzmittels Strophanthin ermordet.
Seine Witwe Margarete erreichte ausnahmsweise, dass der Leichnam ihres Mannes nach Dickenschied im Hunsrück überführt und auf dem dortigen Friedhof beigesetzt werden konnte. Die Trauerfeier fand unter sehr großer Anteilnahme der Bevölkerung und von Amtskollegen aus der Bekennenden Kirche statt. Es sollen etwa 200 Pfarrer, größtenteils im Talar, anwesend gewesen sein. Die Beerdigung geriet zu einer eindrucksvollen Demonstration der Bekennenden Kirche. Ein Gestapo-Beamter äußerte: „So werden Könige begraben“.
Etwa 900 Pfarrer der Bekennenden Kirche und Mitglieder ihrer Gemeinden kamen für kürzere oder längere Zeit in Haft. Bei den Deutschen Christen kam es nach der Gründung der BK zu heftigen Flügelkämpfen. Als Nachfolgeorganisation entstand die „Reichsbewegung Deutscher Christen“, die sich1938 in „Lutherdeutsche“ …umbenannte. Die Bekennende Kirche beanspruchte, die einzige rechtmäßige evangelische Kirche in Deutschland zu sein und schuf sich mit einem „Notrecht“ eigene Leitungsstrukturen. Mitglieder der BK wurden vom NS-Staat nicht nur drangsaliert, sondern auch in Konzentrationslager gesperrt. 1949 gab die neu gegründete Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein Märtyrerbuch heraus, in dem die Namen von 17 ermordeten BK-Mitgliedern, die zum Teil in KZs getötet wurden, enthalten waren. Unter ihnen war auch Dietrich Bonhoeffer. Erst 1979 aber sammelte Werner Oehme, ein Pfarrer in der DDR, die Namen von 14 im Märtyrerbuch nicht verzeichneten BK-Mitgliedern, die als Kriegsdienstverweigerer, Widerständler des 20. Juli 1944, „Wehrkraftzersetzer“ und Juden ermordet wurden, darunter Helmut James Graf von Moltke.
Klostersturm
Zwangsmaßnahmen gegen das Christentum in Deutschland konzentrierten sich bald auf den Bereich der Orden. Damit hatte Adolf Hitler persönliche Erfahrungen. Als Acht- und Neunjähriger hatte er neben der Schule das Sängerknaben-Institut des Benediktinerstifts Lambach besucht. Der Glanz der Architektur, die kostbaren Priestergewänder, das alles erhielt in den Augen des Knaben einen mystischen Glanz. Sein Ideal war es damals, selbst einmal Abt zu werden. Aber aus Faszination wurde Verachtung. Anfang 1934 stellte ein Geheimbefehl des Sicherheitsdienstes der SS klar: „Die Orden sind der militante Arm der katholischen Kirche. Sie müssen daher von ihren Einflussgebieten zurückgedrängt, eingeengt und schließlich vernichtet werden.“ Die katholischen Orden galten den Nationalsozialisten als „gefährlichste Kampftruppe des nach der politischen Weltmacht strebenden römischen Papsttums“. Hinter den Klostermauern vermutete man Schätze und obskure Geheimbündelei.
Die weltweite Verbreitung und internationale Zusammenarbeit vieler Kommunitäten galt als gefährlich. Wer ein eheloses Leben hinter Klostermauern führte, stellte sich außerhalb der „Volksgemeinschaft“. Das ganze Leben von Ordensleuten war für die Nationalsozialisten eine Provokation. Die Orden galten als „undeutsch“, weil sich ihre Angehörigen nicht fortpflanzten, keine Kinder bekamen und damit die „arische Rasse“ nicht förderten. Mönche und Nonnen waren in den Augen der Nationalsozialisten „biologische Blindgänger“, weil sie so ganz anders lebten.
1940 begannen systematische Beschlagnahmen von Klostergebäuden und auch Enteignungen klösterlichen Vermögens. Die Maßnahmen wurden mit „kriegsbedingter Notwendigkeit“ begründet. Beschlagnahmte Häuser wurden als Lazarette, Krankenhäuser, Parteihäuser und schließlich auch als nationalsozialistische Eliteschulen genutzt. Letzteres geschah auch mit dem Benediktinerstift Lambach, in dem 1941 eine „Napola“ untergebracht wurde, eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt, die ihre Zöglinge zu „Nationalsozialisten, tüchtig an Leib und Seele für den Dienst an Volk und Staat“ machen sollte. Die Schüler sollten die kommende Führungsschicht Deutschlands bilden und, wie es in dem dokumentarischen deutschen Spielfilm „Napola“ von 2004 heißt, einst „Gauleiter für Washington, Moskau, London und Kapstadt“ sein. Eine besondere Rolle spielten im Unterricht die Leibesübungen, die zum Hauptfach avancierten.
Beschlagnahmungen von Klöstern gingen meist so vor sich, dass SS vor der Tür stand und den Mönchen oder Ordensschwestern eine Frist zwischen lediglich einer halben und drei Stunden zugestand, um ihr komplettes Gebäude zu räumen. Gleichzeitig nutzten die Behörden die Gelegenheit, auch die Pflegeheime oder Kindergärten zu schließen, die in diesen Räumen beherbergt waren.
Komplett enteignet wurden mehr als 300 Klöster und ähnlichen Einrichtungen in Deutschland. Hinzu kamen Tausende, die vorübergehend beschlagnahmt wurden, sowie weitere Einrichtungen in den besetzten Gebieten in den Niederlanden, in Österreich, im Sudetengau und in Polen. Dort richtete die SS Übergangslager für die Umsiedlungsaktion „Heim ins Reich“ ein, in deren Rahmen mehr als eine halbe Million Deutschstämmige aus Polen, Rumänien und dem Baltikum untergebracht werden mussten.
Januar 1941 setzte eine zweite Welle des Klostersturms ein, diesmal angeordnet von Martin Bormann. Er schrieb am 13. Januar an alle Gauleiter der NSDAP: „Es hat sich heraus gestellt, dass die Bevölkerung keinerlei Unwillen zeigt, wenn Klöster einer allgemein geeignet erscheinenden Verwendung zugeführt werden […] Von diesen Möglichkeiten soll weitgehender Gebrauch gemacht werden.“
Bormann versuchte mit seinem Rundschreiben auf einen Prozess Einfluss zu nehmen, der längst begonnen hatte. In Wirklichkeit gab es in mehreren Orten durchaus lautstarken Protesten der Anwohner gegen die Klosteraufhebungen. Im westfälischen Olpe beispielsweise versammelte sich an mehreren Tagen nacheinander eine aufgebrachte Menschenmenge vor dem örtlichen Pallottinerkloster, die nach einem Gestapo-Bericht „mit Knüppeln und Stöcken bewaffnet“ war, die Beamten der Geheimpolizei beschimpfte und sogar mit Steinen bewarf. Die Gestapo reagierte schließlich mit der Verhaftung von zwei Arbeitern, die sie als Anführer ausgemacht hatte.
Ohne den Vorwand kriegsbedingter Zwänge fiel auch der letzte Schein von Legalität. Ein für die Ordensleute besonders schmerzliches Beispiel traf das Benediktiner-Klosters in Bonn-Endenich. Nach der Enteignung hielten Nationalsozialisten in der Kapelle Propaganda-Vorträge und zwangen die Ordensfrauen, zuzuhören. Kurz darauf wurden die Nonnen vertrieben und es wurden dort Juden interniert, die später deportiert und in Vernichtungslagern ermordet wurden.
Vor allem gegen katholische Häuser richteten sich die Maßnahmen des Klostersturms. Die Bonner Historikerin Annette Mertens erklärt da so: „Das liegt zum einen daran, dass es das Ordenswesen auf evangelischer Seite nicht so gibt und auch daran, dass die katholische Kirche im Zentrum dieser Verfolgungspolitik stand und ganz gezielt vor allem katholische Einrichtungen beschlagnahmt und enteignet wurden.“
Im Laufe der zunehmenden Übergriffe schrieben Bischöfe mehr als 100 Beschwerden und Protestbriefe, doch die zeigten keine öffentliche Wirkung und verschwanden meist in der Schublade, so Annette Mertens: „Der erste, der sich öffentlich in einem Hirtenbrief geäußert hat, war der Würzburger Bischof Ehrenfried. Und der nächste war Bischof Berning von Osnabrück, der auf einer großen Männerwallfahrt in seiner Predigt offen Stellung bezog. Das sind mutige Aktionen, mitten in einer Diktatur, mitten im Krieg, das dürfen wir nicht gering schätzen“.
Die Predigten des Bischofs von Münster hätten ganz entscheidend dazu beigetragen, dass auch die Zwangsmaßnahmen gegen Klöster eingestellt wurden.
Adolf Hitler hatte Bormann und Himmler schon mehrfach ermahnt, während des Krieges in den kirchenpolitischen Angelegenheiten Ruhe zu bewahren. Solange der Krieg nicht gewonnen war, wollte er „Beunruhigungen“ der Bevölkerung vermeiden. Die Abrechnung mit der Kirche behielt er sich persönlich für die Zeit nach dem „Endsieg“ vor.
Dennoch veranlassten Bormann und Himmler immer wieder Maßnahmen gegen die Kirche.
Das änderte sich allerdings im Sommer 1941. Am 30. Juli gab der „Führer“ in seinem so genannten „Stopp-Erlass“ den ausdrücklichen Befehl, die Beschlagnahmen einzustellen. Bis auf wenige Ausnahmen wurde der Befehl diesmal auch befolgt. Allerdings sorgte Martin Bormann dafür, dass der Erlass sehr eng und buchstabengetreu ausgelegt wurde. Er verbot zwar die Beschlagnahme von Klöstern, aber nicht ihre Enteignung, die formale Einziehung ihres Vermögens zugunsten des Staates. Daher fanden noch bis 1942 solche Vermögenseinziehungen statt. Die Grundstücke und das bewegliche Vermögen der Klöster, die zuvor von der Gestapo beschlagnahmt worden waren, gingen dauerhaft in das Eigentum des Staates über, der auch im Grundbuch als Eigentümer eingetragen wurde.
Viele Orden konnten nach dem Krieg in ihre Gebäude zurückkehren. Etliche Klöster haben die Vertreibung aber auch nicht überstanden und lösten sich auf.
Seine eigene Methode, Sand ins Getriebe der kirchenfeindlichen Aktivitäten zu streuen, fand der Oberregierungsrat Alois Becker, der seit 1939 Referent „für Landeskultur, Wasserwirtschaft und Melioration“ sowie für „Geistige Angelegenheiten der Rheinprovinz“ war. Er trat 1937 zwar in die NSDAP ein, aber, wie er sagte, aus taktischen Gründen und zur Tarnung seiner Absichten. Er unterhielt Kontakte zu Katholiken im politischen Widerstand und stand auch in Verbindung zu Carl Goerdeler. Nachdem Becker 1942 aus dem Kriegseinsatz ins Zivilleben zurückkehrte, tat es alles, um Anträge von Kommunen auf Überlassung von Klöstern zu verzögern. Das gelang ihm vor allen in Fällen, in denen es mehrere Interessenten für eine Immobilie gab. Auch durch Tricks schaffte er es, Klöstern ihr Eigentum zu sichern, so sprach er der HJ ein Objekt im Gau Köln-Aachen zu, da abzusehen war, dass das Reichsinnenministerium das ablehnen werde. Weder die Hitlerjugend noch die Stadt Köln, die ebenfalls einen Antrag gestellt hatte, bekamen schließlich den Zuschlag. Alois Becker wurde schließlich bei der Gestapo wegen seines Verhaltens angezeigt, aber durch die Aussage eines Vorgesetzten vor der Verhaftung bewahrt.
Als er 1944 schließlich die direkte Anweisung aus dem Ministerium bekam, unverzüglich mit der Verwertung der Klöster zu beginnen, ließ er sich ein ärztliches Gutachten ausstellen, das es ihm ermöglichte, einen Erholungsurlaub anzutreten. Bis zum Kriegsende kehrte er nicht auf seinen Posten zurück. Dass es ihm gelang, in vielen Fällen wenigstens das Vermögen beschlagnahmter Häuser vor der Verwertung zu schützen, erleichterte nach dem Krieg die Rückerstattung.
Durch die Gründung eines Gremiums mit dem Namen „Ausschuss für Ordensangelegenheiten“ versuchten die Klöster im August 1941, nach dem Stopp-Erlass Hitlers, mögliche Gegenmaßnahmen gegen die Übergriffe zu koordinieren. Zu den Initiatoren des Ausschusses gehörten die Dominikanerpatres Odilo Braun und Laurentius Siemer, die Jesuitenpatres Augustin Rösch und Lothar König sowie ein Laie, der Justiziar der Diözese Würzburg, Georg Angermaier, der auch verschiedene Ordensgemeinschaften juristisch vertrat. Der Ausschuss wollte vor allem den Informationsaustausch der deutschen Bischöfe untereinander zu verbessern, um gemeinsame Aktionen ermöglichen. Die Bischöfe von Fulda, Johann Baptist Dietz, von Passau, Simon Konrad Landersdorfer, von Freiburg, Conrad Gröber, und von Berlin, Konrad von Preysing schlossen sich dem Ausschuss an, der auch von der Bischofskonferenz offiziell anerkannt wurde. Der Ausschuss entfaltete eine umfangreiche kirchenpolitische Aktivität, die weit über das eigentliche Problem des Klostersturms hinausging.
Einer der größten Erfolge der Ausschussmitglieder war der so genannte Dekalog-Hirtenbrief, den die Bischöfe 1943 unterzeichneten. Auf der Grundlage der zehn Gebote bezogen sie darin in deutlichen Worten Stellung
gegen die nationalsozialistischen Verbrechen. Für die Klöster auf dem Gebiet des Deutschen Reiches, wie es bis zum Ende des Westfeldzugs 1940 bestand, in Deutschland kam der Einsatz des Ordensausschusses zwar zu spät.
Die Beschlagnahmen waren bereits vor seiner Gründung eingestellt worden. Auch die Einziehungen klösterlichen Vermögens konnten sie nicht verhindern. Die Klöster im Elsass, das nach dem Waffenstillstand von Deutschland annektiert wurde, wurden dagegen tatsächlich durch den Ordensausschuss gerettet.
Robert Wagner, Gauleiter des Reichsgaus Baden-Elsass, und der SD planten im Juli 1943 eine umfassende Aktion gegen 23 elsässische Klöster. Es gelang ihnen aber nicht, die Vorbereitungen der Aktion geheim zu halten. Augustin Rösch erfuhr einige Tage vorher von den Plänen
und veranlasste zusammen mit seinem Ordensbruder Lothar König den Freiburger Erzbischof Gröber, Telegramme an die wichtigsten NS-Führer und Polizeidienststellen zu schicken, um bereits im Vorfeld gegen den Angriff auf die Klöster zu protestieren. Aus Angst vor den Reaktionen der Öffentlichkeit verwarfen die Nationalsozialisten ihre Pläne.
Beispiel Barmherzige Schwestern
Was katholische Orden und ihre Einrichtungen in vielen anderen Teilen Deutschlands zu erdulden hatten, wird exemplarisch deutlich aus der Dissertation von Alexa Becker über die Tätigkeit der Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul an den klinischen Einrichtungen der Universität München. König Ludwig I. hatte die Schwestern 1832 zur Arbeit in der Krankenpflege nach Bayern geholt. Die Zusammenarbeit mit staatlichen und kommunalen Stellen war lange unkompliziert. Große Probleme gab es ab 1933 nicht nur durch den Klostersturm, sondern schon früher wegen der NS-Gesetze zur Krankenpflege und eine Pflege-Ausbildung mit ideologischen Lehrinhalten.
Die Konflikte waren sowohl professionell als auch persönlich. Vor allem die Schwestern, die in den Operationssälen der chirurgischen und gynäkologischen Abteilungen in Kliniken Dienst taten mussten eine Antwort auf die Frage finden, wie sie die Beihilfe zu eugenischen Maßnahmen und Sterilisationen verweigern konnten, ohne die gesamte Kongregation und den Erhalt der christlichen Krankenpflege zu gefährden.
Auch von höchster kirchlicher Seite wurde um eine Antwort gerungen, die moralisch vertretbar war und nicht die gesamte Tätigkeit unmöglich machte. Ein Vorteil für die Schwestern war es dabei, dass die staatlichen Stellen im Krieg nicht auf sie verzichten konnten, weil allenthalben Pflegekräfte fehlten.
Die katholische Kirche bemühte sich zunächst vergeblich, das Gesetz zu beeinflussen. In der Chirurgischen Klinik in München sterilisierten Ärzte von Januar 1934 bis Juni 1937 insgesamt 1050 männliche Personen. 37 von ihnen waren Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau. In der Universitätsfrauenklinik wurden von 1934 bis1944 1318 Patientinnen sterilisiert. Kardinal Michael von Faulhaber stärkte als geistliches Oberhaupt der Kongregation den Schwestern in ihrer Haltung gegen die Sterilisationen maßgeblich den Rücken. Das Gesetz und seine Verordnungen konnte er zwar nicht verhindern, doch er bemühte sich zumindest um eine kirchenkonforme Auslegung der Bestimmungen in der Alltagspraxis.
Superior Johannes Baptist Pfaffenbüchler fragte bei ihm an, ob sich eine Schwester vor jeder Operation ein „dictamen über die Erlaubtheit“ derselben bilden müsse.
Am 28. Juli 1934 teilte der Superior den Barmherzigen Schwestern, dass sie bei Sterilisationseingriffen aus eugenischen Gründen nicht assistieren dürften. Sie durften aber die Instrumente für den Eingriff herrichten und danach aufräumen.
Die Reichsregierung erklärte in einem Schreiben an Kardinal Faulhaber daraufhin, sie könne eine Aufforderung zum Ungehorsam gegen das Reichsgesetz nicht hinnehmen.
Der Kardinal antwortete postwendend, dass Sterilisation ebenso wie Abtreibung und Empfängnisverhütung gegen das göttliche Gesetz seien. Als die Tötung so genannten „unwerten Lebens“ bekannt wurde, ermahnte Faulhaber die Schwestern, dass es durch das göttliche Gesetz strengstens verboten sei, bei der Tötung von Menschenleben in jeglichen Fällen mitzuwirken.
Er protestierte beim Reichsinnenminister schriftlich gegen „Drohungen wie diese, man werde den Schwestern die Krankenpflege in dem einen oder anderen Haus abnehmen“. Als zwischen Ende 1943 und April 1945 bei mindestens 220 Fremdarbeiterinnen im Krankenhaus Hutthurm Abtreibungen durchgeführt wurden, weigerten sich die Schwestern, dabei mitzuwirken. Sie mussten sich übelste Beschimpfungen gefallen lassen. Die Lage beruhigte sich erst wieder, als der Klinik eine Stellungnahme des Passauer und des Münchener Ordinariats zugeleitet wurde, dass die Bischofskonferenz gegen solche Eingriffe Einspruch erhoben hatte. Der Staatssekretär im Reichsministerium für Kirchenfragen, Hermann Muhs, teilte Kardinal Faulhaber bemerkenswerter Weise mit, dass kein Arzt zu einer Abtreibung gezwungen worden sei. Deshalb dürfe auch auf Schwestern in der Krankenpflege kein Druck ausgeübt werden, sich an Abtreibungen zu beteiligen. Im gesamten von ihr gesichteten Archivmaterial fand Alexa Becker keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Kongregation der Barmherzigen Schwestern an Maßnahmen der Euthanasie in Bayern aktiv teilnahm.
Der Klostersturm traf die Barmherzigen Schwestern 1936/37 in Bayern zunächst durch die Verdrängung aus dem Erziehungsbereich. Die Schülerheime der Salesianer beziehungsweise der Benediktiner in Amberg und
Eichstätt, in denen die Schwestern die Hauswirtschaft geführt hatten, wurden geschlossen.
Einrichtungen der Kinder- und Jugendpflege wie das Walderholungsheim Stullendorf, das Wanderheim in Bogen und die Marienanstalt in Indersdorf wurden von der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ (NSV) übernommen.
Auch das Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern in München musste sich gegen Angriffe zur Wehr setzen. Die Stadt wollte die Kongregation aus dem Mutterhaus in München verdrängen, weil die benachbarte Klinik erweitert werden müsse und das Grundstück der Kongregation dafür gebraucht werde. Als die Schwestern Einspruch erhoben, verzichtete die Stadt aber auf eine Enteignung, weil sonst die Gesundheitsversorgung in der Stadt gefährdet gewesen wäre. Alle zuständigen Behörden in Bayern wurden im Juli 1937 vom Ministerium angewiesen, Verdrängungsversuche von Ordensschwestern und Kongregationen aus den
Krankenhäusern zu stoppen, weil es zu wenige „nationalsozialistisch geschulte Schwestern“ gebe.
Die Barmherzigen Schwestern blieben schließlich bis zum Umzug in das neu errichteten Mutterhauses in Berg am Laim im Jahre 2007 im Münchener Gebäude. Fast alle Räume des Noviziatsgebäudes in Berg am Laim wurden aber im September 1941 beschlagnahmt und bis März 1943 als „Heimanlage für Juden“ benutzt, die aus ihren Wohnungen vertriebenen worden waren und schließlich in Sammellager oder Konzentrationslager deportiert wurden.
Für weitere Einquartierungen mussten die Schwestern auch noch selbst die Kosten tragen, und zwar insgesamt 5040 Reichsmark für die Unterbringung von Kriegsgefangenen und Flakhelfern. Das Luftgaukommando gab den Versuch auf, das Postulatsgebäude in der Münchener Blumenstraße zu konfiszieren, als die Kongregation Eigenbedarfs wegen der Verwendung als ordenseigene Krankenpflegeschule machte.
Die Stadt Adelholzen beschlagnahmte aber das dortige kongregationseigenen Kurhaus bei Kriegsbeginn für einige Monate als Lazarett. Die Schwestern mussten die dort eingelieferten Soldaten pflegen und verloren die wichtige Einnahmequelle aus dem Kurbetrieb. Später wurde das Haus als Übergangsheim für Rumäniendeutsche, und die Aktion „Kinderlandverschickung“ verwendet. Das Erholungsheim der Schwestern in Unterhaching blieb von der Beschlagnahme verschont. Die Stadt akzeptierte, dass die Schwestern zur Erholung vom anstrengenden Krankendienst selbst brauchten. Die Tutzinger Schwestern zwang man von heute auf morgen, ihr Kloster zu verlassen. Sie wurden auf andere Niederlassungen verteilt. Den Repressionen begegnete die Generaloberin, Schwester M. Desideria, mit Ermahnungen wie diesen zur Unterlassungen politischer Bemerkungen; „Nicht oft genug kann ich Euch sagen: Schwestern, Schweigen! Ich bitte Euch inständig, schweigt doch! Wie vielen Gefahren für sich
selber und für den Orden setzt sich so eine geschwätzige, geistlose Schwester aus. Seid vorsichtig in Euren Reden! Wandelt in heiliger Furcht. Wir leben im Verkehr mit
der Welt in ständiger Gefahr, glaubt es mir!“
Alexa Becker widmet sich auch dem Thema Widerstand der Schwestern gegen den Nationalsozialismus.
Die Kongregation könne ein Beispiel sein für die zahlreichen oft nicht namentlich bekannten Menschen die sich gegen den Nationalsozialismus auflehnten, indem sie durch humanes Handeln dem inhumanen Regime etwas entgegensetzten. Beispiel sei für Fürsorge für die Juden in Berg am Laim trotz der Nürnberger Rassegesetze. Nachdem sich die Kongregation der Einrichtung eines Internierungslagers im dortigen Noviziatsgebäude beugen musste, sagten die Schwestern zu, den Juden Frühstück zuzubereiten. Weitere Mahlzeiten sollten von umliegenden Gasthäusern kommen. Die Schwestern taten das, obwohl jeder Umgang mit den Juden laut Parteiverfügung strengstens untersagt und auch die Weitergabe von Nahrungsmitteln strikt verboten war. Nicht nur morgens, sondern auch mittags und abends wurden die internierten schließlich aus der Klosterküche verpflegt. Außerdem durften sie das Telefon der Kongregation nutzen. Eine der im Noviziatsgebäude untergebrachten Jüdinnen, Else Behrend-Rosenfeld, schilderte das Verhältnis zu den Barmherzigen Schwestern mit diesen Worten:
„Ich sah, mit welcher schlichten und selbstverständlichen Hingabe sie ihre Arbeit machten. Ich fühlte ihre Sympathie für uns, ihr Mitfühlen bei allem, was wir erduldeten, und ihre Hilfsbereitschaft […] Noch niemals zuvor habe ich so stark den Wunsch verspürt, mich vor Menschen in Ehrfurcht zu neigen, wie vor den Klosterschwestern“.
Für einige Tage in Haft kam der Abt der Benediktinerabtei Münsterschwarzach, Burkhard Utz, der sich weigerte, bei der Beschlagnahme des Klosters und der Ausweisung der Mönche mit der Gestapo zusammenzuarbeiten. Er wolle nicht „zum Henker seiner eigenen Familie werden“, gab er schriftlich zu Protokoll. Ein großes Polizeiaufgebot beschlagnahmte, ausgerüstet mit Stahlhelm und Bajonett, die Abtei schließlich gewaltsam. Die Patres wurden in das Franziskanerkloster Kreuzberg gebracht.
Widerstand
Widerstand aus kirchlichen Kreisen hat zur Zeit des Nationalsozialismus viele Formen gehabt – vom gesetzeswidrigen Verhalten der Barmherzigen Schwestern bis zur Aufopferung des eigenen Lebens als Zeugnis für den Glauben.Gegen das NS-System kämpfte zum Beispieleinevon bekennenden Katholiken dominiertewenig bekannte Fluchthelfergruppe aktiv, die sich „Junger Bundschuh“ nannte. Sie versteckte abgeschossene alliierte Kampfpiloten, flüchtige Kriegsgefangene und Fremdarbeiter und versuchte, sie ins unbesetzte Frankreich, nach Belgien und in die Schweiz zu schleusen. Diese Gruppe ist auch an den Schwerpunktorten ihres Wirkens fast vollkommen vergessen, weil Fluchthilfe auch im Nachkriegsdeutschland zunächst oft nicht als Widerstand, sondern als Landesverrat betrachtet wurde.
Der Katholischen Jungmännerverband Deutschlands, dem 1926 4400 Vereine mit 400000 Mitgliedern angehörten, sammelte 1931 15000 Teilnehmer bei seiner Reichstagung in Trier. Er nahm immer wieder Stellung gegen den Nationalsozialismus und warnte vor der Reichstagswahl von 1933: „Was sich seit Mitte März vorigen Jahres ereignet hat, ist ein nationales Verderben […] Wir erfahren es: Bolschewismus kann auch werden unter nationalen Vorzeichen. […] Deutschland darf nicht den Extremen ausgeliefert werden; weder rechts noch links.“
Die Zeitungen, die diesen Wahlaufruf veröffentlichten, wurden daraufhin verboten.
140 Gestapo-Beamte besetzten das Düsseldorfer Jugendhaus, die Zentrale des Verbandes. Den Mitarbeitern wurde verkündet, dass sie fristlos entlassen seien. 1939 löste das Reichsicherheitshauptamt schließlich den Verband einschließlich aller Unter- und Nebengliederungen auf und zog sein gesamtes Vermögen ein.
Auch einige Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ und Angehörige ihres studentischen Freundeskreises um die Weiße Rose war in starkem Maße christlich motiviert.
So wuchsen zum Beispiel von der später als „Ulmer Abiturienten“ bezeichneten Gruppe, die zum Sympathisantenkreis der Weißen Rose gehörte, Hans und Susanne Hirzel in einem evangelischen Pfarrhaus auf- Ihr Vater gehörte der Bekennenden Kirche an. Franz J. Müller, Heinrich Guter, Heinz Brenner und Walter Hetzel waren katholisch und gingen in einen freiwilligen Religionsunterricht, nachdem der reguläre in Schulräumen 1941 verboten worden war. Der Unterricht wurde erteilt von Adolf Eisele, einem Pater des Missionsordens der Weißen Väter, der antinationalsozialistisch eingestellt war. Eisele unterrichtete unter anderem mit Texten von Thomas von Aquin und diskutierte mit den Jugendlichen kritische Texte wie die gegen die NS-Euthanasie gerichteten Predigten Clemens August von Galens und sein Protestschreiben an die Reichskanzlei.
Alexander Schmorell gehörte der russisch-orthodoxen Kirche an. Sie verehrt ihn heute als Neumärtyrer, und die russisch-orthodoxe Kirche im Ausland hat in 2012 heiliggesprochen. Die wie Schmorell hingerichteten Geschwister Hans und Sophie Scholl wurden christlich und mit Idealen wie Freiheit, Gerechtigkeit und Selbstständigkeit erzogen und waren deshalb empört über die Deportation und Behandlung sowohl von Juden als auch von Regimegegnern. Außerdem waren sie durch die Frömmigkeit ihrer Mutter geprägt, Hans Scholl, Alexander Schmorell und Willi Graf hatten 1942 bei ihrem Fronteinsatz von Massenermordungen in Polen erfahren und das Elend im Warschauer Ghetto beobachtet, was sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland zusätzlich zum Widerstand bewegte.
Die Mitglieder der weißen Rose Willi Graf und Kurt Huber wurden in Anerkennung ihren Glaubenszeugnisses als Märtyrer der Erzdiözese München und Freising anerkannt und in das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts aufgenommen.
Unbeugsam bis in den Tod war auch der Pallotinerpater Franz Dionysius Reinisch. Er wurde am 1. Februar 1903 im österreichischen Feldkirch geboren. Bei seiner Taufe einen Tag später weihten ihn seine Eltern der Gottesmutter. Am 29. Juni 1928 wurde er im Innsbrucker Dom zum Priester geweiht. Noch im selben Jahr trat er am 3. November in das Pallottiner-Kloster Untermerzbach bei Bamberg ein. 1933 wurde er nach Schönstatt versetzt und mit der Missionsarbeit und Männerseelsorge beauftragt. Er unternahm viele Reisen durch ganz Deutschland. Bald wurde die Gestapo auf ihn aufmerksam, weil er offen die Unvereinbarkeit des christlichen Glaubens mit der NS-Ideologie verkündete.
Am 12. September 1940 erhielt er Predigt- und Redeverbot. Seinem Gewissen treu besuchte er trotz des Redeverbots Gruppen und stärkte sie im Glauben. Franz Reinisch war überzeugt, dass Hitler die Personifizierung des Antichrists sei und verweigerte den Eid auf den „Führer“ nachdem er am Osterdienstag 1942 den Gestellungsbefehl als Sanitäter zum Eintritt in die Wehrmacht erhielt. Nach eingehender Gewissenserforschung fiel die Entscheidung, den Fahneneid nicht zu leisten.
Ihm war klar, dass sie einem Todesurteil gleichkam. Sein Seelenführer, Pater Joseph Kentenich, sagte. „Wenn es Gottes Wille ist, sterben Sie als Opferlamm“. Bei einem letzten Besuch teilte Franz Reinisch seinen Eltern seinen Entschluss mit. Beim Beten des Kreuzwegs fragte er seine Mutter an der 13. Station (Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt): „Kannst Du auch eine Schmerzensmutter sein, die ihr Kreuz trägt und nicht zusammenbricht?“ Die Mutter unterstützte ihn und wünschte ihm, er möge stark bleiben.
Franz Reinisch wurde verhaftet und kam vors Kriegsgericht. Nach einem Aufenthalt im Gefängnis Berlin-Tegel wurde er ins Zuchthaus Brandenburg eingeliefert.
Dort schrieb er das Marienlied „Du bist das große Zeichen“, gleichsam als sein Sterbelied. Als es ihm am 20. August 1942 um 20 Uhr das Todesurteil verlesen wurde, kommentierte er es mit dem Ausspruch „Der Verurteilte ist kein Revolutionär, das heißt Staats- und Volksfeind, der mit Faust und Gewalt kämpft. Er ist ein katholischer Priester, der die Waffen des Geistes und des Glaubens gebraucht. Und er weiß, wofür er kämpft.“
Franz Reinisch betete die ganze Nacht und schrieb noch einen Abschiedsbrief an seine Eltern und Geschwister. Eines der letzten Grußworte aus der Gefängniszelle war: „Lieben und Leiden in Freuden. F. Reinisch“.
Nach Mitternacht beichtete er noch einmal, kommunizierte und gab alle Dinge ab, die er noch bei sich hatte (das Tüchlein, in das die Eucharistie gehüllt war, das Sterbekreuz, den Rosenkranz, einige Bücher und den Abschiedsbrief). Man nahm ihm Schuhe und Strümpfe ab, fesselte seine Hände auf dem Rücken und führte ihn in zum Hinrichtungsraum. Um 5.03 Uhr am 21. August wurde Franz Reinisch enthauptet. Kardinalstaatssekretär Luigi Maglione schrieb am 18. August 1943 an den Generaloberen der Pallottiner: „Sie haben […] das Beispiel jenes Mitbruders beschrieben, der mit dem Fallbeil hingerichtet wurde. Der Heilige Vater ist im Zweifel, ob er Euch wegen des Verlustes eines Mitgliedes von solch hochherziger Haltung beklagen, oder ob er Euch zur Glorie, die jener erworben, seinen Glückwunsch aussprechen soll.“
Die katholische Kirche hat Pater Franz Reinisch als Glaubenszeugen in das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts aufgenommen. Am 28. Mai 2013 wurde in Trier der Prozess zur Seligsprechung eröffnet.
Das sind die ersten beiden Strophen von Franz Reinischs Lied „Du ist das große Zeichen“:
„Du bist das große Zeichen,
voll Licht im Sonnenglanz,
umflutet und durchglutet
von Gottes Liebe ganz.
Ich möcht’ als Liebesflamme,
Maria, Jungfrau rein,
im kleinen Heiligtume
von dir entzündet sein.
Du stehst als Leidensrose
beim Kreuz ganz groß und still,
und sprichst dein Ja zum Opfer,
weil’s Gott so haben will.
Auch heute ruft Gott wieder
nach einer Heldenschar.
Drum bringe mich, o Mutter,
als Liebesopfer dar!“
Dass die Zukunft der Kirche im nationalsozialistischen Machtbereich düster ausgesehen hätte, zeigt die Verfolgung im Reichsgau Wartheland, dem ehemals polnischen Gebiet mit der Hauptstadt Posen, das das Deutsche Reich im Gegensatz zum Generalgouvernement förmlich annektiert hatte.
Dort wurden bis 1941 nicht weniger als 94 Prozent der Kapellen der Diözese Posen-Gnesen geschlossen, elf Prozent des Klerus ermordet und die meisten anderen Priester in Gefängnisse und Konzentrationslager geworfen. Der polnische Politiker und Journalist Stefan Korbonski, der während des Krieges maßgeblich an der in den Untergrund abgetauchten Regierung des Landes beteiligt war, schätzte später in seinem Buch über den polnischen Staat im Untergrund, dass ein Sechstel aller Priester Polens in der Zeit der deutschen Besatzung ermordet wurde. Andere Quellen schätzen, dass nach der deutschen Besatzung des zweiten Weltkriegs die Hälfte des polnischen Klerus nicht mehr am Leben war.
Lernen, was es heißt, zu lieben
Angesichts der ungeheuren Verbrechen des Nationalsozialismus wird oft der Vorwurf erhoben, nie habe einer der Täter Reue gezeigt. Rudolf Höß, Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz, war nach eigener Aussage im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess für den Tod von mehr als einer Million Menschen verantwortlich.
Während er sich in britischer Gefangenschaft noch auf den Befehlsnotstand berief, schildert Manfred Deselaers, ein Priester des Bistums Aachen, der seit 1990 in Oswiecim lebt, eine bemerkenswerte Änderung im Verhalten des ehemaligen SS-Hauptsturmführers.
Höß wurde nach einem Strafprozess in Warschau 1947 am Ort seiner Verbrechen hingerichtet. Dass er nach brutaler Behandlung bei den Briten nun ausgerechnet von Seiten der Opfer, darunter auch von ehemaligen Häftlingen, Menschlichkeit erfuhr, hat ihn tief beschämt und die ideologische Loyalität, die er der NS-Führungsspitze entgegenbrachte, zusammenbrechen lassen.
In seinen Abschiedsbriefen zeigte Höß sich beeindruckt von der „aus tiefstem Herzen kommenden Menschlichkeit“ der Polen. Deselaers schreibt in seinem Buch: „Nach dem, was geschehen war, ist es menschlich unmöglich, Höß als Person, die sich von seiner Geschichte ja nicht trennen lässt, zu achten. Insbesondere die Opfer und ihre Sprecher können das nicht von sich aus. Wenn sie es können […] können sie es nur im Glauben an eine andere Instanz, von der Höß seinen absoluten Wert als Mensch haben kann“.
Der polnische Jesuitenpater Wladyslaw Lohn, bei dem Höß beichtete, nahm den ehemaligen KZ-Kommandanten wieder in die katholische Kirche auf, sprach ihm im Sakrament der Versöhnung die Vergebung Gottes zu und spendete ihm auch die Kommunion.
Lohn hatte Menschen, die ihm sehr nahe standen, in Auschwitz verloren. Er war sich nach der Überzeugung Desealaers wohl der Tatsache bewusst, dass sich die Kirche der Verantwortung gegenüber den Opfern nicht entziehen darf, dass ihr Sinn Dienst an der Versöhnung ist. Mit der Beichte von Höß könne dieses Kapitel deshalb für die Kirche nicht abgeschlossen sein. Sie müsse sich den Opfern zuwenden und Versöhnungsarbeit leisten. Manfred Deselars zieht dieses Fazit: „Das Bild vom Fegefeuer lässt sich nur aus dem Glauben an volle Gerechtigkeit erklären. Bevor nicht eine bis in die Wurzeln gehende Reinigung stattgefunden hat, gibt es keine Aufnahme in den Himmel. Für Höß bedeutet das: Er wird lernen müssen, seinen Opfern ins Antlitz zu schauen und sich selbst von daher zu verstehen. Er wird das ganze Ausmaß seiner Verbrechen erst noch erkennen und bitterlich weinen. Er darf sich der Liebe Gottes gewiss sein, aber er muss sich auch darauf einlassen, dass alles, was ihr entgegensteht, ,verbrannt´ wird. Er wird bis ins Letzte lernen müssen, was es heißt, zu lieben“.
Während Adolf Hitler im Kerngebiet des Deutschen Reichs danach trachtete, das Christentum zu „überwinden“, setzten nationalsozialistische Planer für den einzuverleibenden „Ostraum“ auf Ausrottung.
Der seit dem Frühjahr 1940 entwickelte „Generalplan Ost“ der Planungsgruppe lll B beim Sicherheitsdienst des Reichssicherheitshauptamtes der SS sah vor, nur einen kleinen Teil der dortigen Bevölkerung zu „germanisieren“. Statt dessen sollten 80 bis 85 Prozent der Polen, 50 bis 75 Prozent der Tschechen und 50 bis 60 Prozent der Russen im europäischen Teil der Sowjetunion vernichtet oder vertrieben werden. Weitere 15 bis 25 Prozent der europäischen Russen sowie 30 bis 30 Prozent der Ukrainer und 30 bis 50 Prozent der Weißrussen waren für die Umsiedlung nach Sibirien vorgesehen und 25 Prozent der beiden letztgenannten Nationalitäten zur Vernichtung.
Der Schriftsteller Ralph Giordano hat in seinem Buch „Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte“ herausgearbeitet, welches Schicksal den Christen (und den slawischen „Untermenschen“ anderen Glaubens oder ohne Religion) nach einem deutschen Sieg bevorgestanden hätte wäre. Rund 30 Millionen Menschen wären ermordet worden („sonderbehandelt“, „ausgesondert“ oder in die „Wertungsgruppe IV“ eingeordnet), wie es mit den sechs Millionen Todesopfern der Vernichtungslager während des Krieges tatsächlich geschah.
Das „Arbeitswissenschaftliche Institut der Deutschen Arbeitsfront“ war andererseits aber auch emsig darauf gedacht, sicherzustellen, dass genug Sklavenarbeiter am Leben blieben, solange sie gebraucht wurden. Etwa bis in die fünfziger Jahre des 21. Jahrhunderts sollte es dauern, bis diese „Übergangsphase“ schließlich erledigt und das Gebiet bis zum Ural von Deutschen geschlossen besiedelt gewesen wäre. Die SS-Zeitschrift „Das schwarze Korps“ nahm kein Blatt vor den Mund: „Unsere Aufgabe ist es nicht, den Osten im alten Sinne zu germanisieren, das heißt, dort vorhandenen Menschen deutsche Sprache und deutsche Gesetze beizubringen, sondern dafür zu sorgen, dass im Osten nur Menschen wirklich deutschen, germanischen Blutes wohnen“.
Die Patentanmeldung T 58240 Kl. 24 der Erfurter Firma Topf & Söhne hätte es ermöglicht, einen zweiten, noch viel gewaltigeren Holocaust, die Vernichtung vom 36 Millionen Menschen, darunter sechs weiteren Millionen Juden, die im ersten Holocaust nicht ermordet worden waren, sogar binnen weniger als zehn Jahren zu bewältigen. Ihr über vier Stockwerke reichender Leichenverbrennungs-Hochofen hätte mit fünf Doppeleinheiten in einem Krematoriumsblock von der Größe, die in Auschwitz existierte, eine „Veraschungskapazität“ von 3,6 Millionen menschlichen Körpern pro Jahr ermöglicht.
Militärseelsorge
Ein besonderes Kapitel des Verhältnisses von Christentum und Nationalsozialismus ist die Militärseelsorge. Bei Kriegsbeginn 1939 gab es rund 200 hauptamtliche Wehrmachtpfarrer. Zusätzlich wurden zunächst rund 300 Kriegspfarrer auf Kriegsdauer als Wehrmachtbeamte eingestellt, die nach Kriegsende wieder in die zivile Seelsorge zurückkehren sollten. Beim Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion 1941 gab es dann insgesamt jeweils 455 evangelische und katholische Kriegspfarrer, die sowohl als Freiwillige als auch als Wehrpflichtige dienten. Ihre obersten Vorgesetzten waren der katholische Feldbischof Franz Justus Rarkowski und der evangelische Feldbischof Franz Dohrmann. 1939 meldeten sich Zivilpfarrer außerdem freiwillig zum Dienst in der Truppe. Ab Februar 1940 wurden Feldgeistliche nur noch aus der Truppe rekrutiert. Katholische Priester wurden wie auch evangelische Pastoren zunächst eingezogen, dann als Sanitäter ausgebildet und nach unterschiedlich langem Einsatz zur Teilnahme an einem achttägigen Lehrgang für Kriegspfarrer in Berlin kommandiert.
Sie wirkten in der Wehrmacht in Lazaretten, Stäben, Gefängnissen und bei der Truppe.
Nach dem Merkblatt über Feldseelsorge sollten Kriegspfarrer auf dem Boden religiöser Neutralität die Aufgabe erfüllen, die Kampfkraft der Soldaten zu stärken. Regelmäßig wurden Gottesdienste, Beichte, Kommunion und Gebetsstunden abgehalten. Darüber hinaus nahmen die Pfarrer Testamente auf und verschickten Trostbriefe an Hinterbliebene von Gefallenen. Außerdem wirkten sie bei Bestattungen und Trauerfeiern mit.
Als 1942 in einer Richtlinie die konfessionelle Militärseelsorge betont wurde, sahen sich besonders die katholischen Seelsorger und die der Bekennenden Kirche von der Verantwortung für die staatlichen Kriegsziele befreit. Ein Kriegspfarrer im Heer trug im Einsatz die gleiche Felduniform wie die Soldaten, die er betreute, aber ohne Schulterstücke und Rangabzeichen. Durch den engen Kontakt auch zu einfachen Soldaten genossen die Kriegspfarrer hohes Ansehen, was Adolf Hitler und Joseph Goebbels zunehmend fürchteten.
Ab 1944 wurden deshalb Nationalsozialistische Führungsoffiziere eingestellt, um in Konkurrenz zu den Seelsorgern die Offiziere auf die Parolen der Partei einzuschwören.
Kriegspfarrer versuchten, den Soldaten die Treue zu Gottes Geboten nahe zu bringen wie der Protestant Rudolf Schwarz, der ihnen 1943 in einer Predigt ins Gewissen redete: „Glaubt ihr, dass die gleichen Hände, die einem Kameraden das Feldpostpäckchen stehlen, sich noch vor diesem Gott zum Gebete falten können: Unser täglich Brot gib uns heute? Oder glaubt Ihr, dass die, denen die Ehre eines Mädchens nicht heilig ist, wo immer es auch sei, dass die im Licht jenes Gottes stehen können, der geboten hat: Ihr sollt heilig sein?“
Kriegspfarrer wurden aber auch überwältigt von ihren Erlebnissenwie der katholische Priester Steppich, der am 19. Oktober 1941 in Russland in sein Tagebuch schrieb: „Welche Schicksale spielen sich aber mit den vielen Tausenden von Gefangenen ab: Sie fallen erschöpft auf der Straße um. Man hört das Schreien und Schießen. Und wenn einer auf der Straße liegt, dann raufen sich die Umstehenden um seine Schuhe und Kleider! Der Mensch wird zum Tier. Auf der Autobahn werden 30000 Gefangene vorbei geführt. Es ist ein Zug des Elends. Viele können nicht mehr marschieren. Sie behaupten, seit sechs Tagen nichts mehr gegessen zu haben. Sie schreien. Wer die Reihe verlässt, wird erschossen. Durch die Nacht klingt das unheimliche Marschieren, Jammern und Schießen. Es ist eine Nacht des Grauens.“
Und der Priester Johann Stelzenberger notierte am 27. Oktober 1941: „Hier wurden jeden Tag Tausende von Juden erschossen. Von 40000 Juden in Wilna sollen nur noch 6000 am Leben bleiben! Wie furchtbar ist das. Man schämt sich für solches Tun deutscher Menschen.“
Sein Kollege Hermann Wolfgang Beyer erkannte fünf Wochen später: „Der Zwang des Tötenmüssens im Kampf wird schon manchen unserer Männer nicht leicht. Aber man verwirrt ihnen alle sittlichen Begriffe, wenn man die Grenze zwischen dem Kampf mit einem sich wehrenden Feind und das Abschlachten von kranken Menschen verwischt.“
In Belaja Zerkow, einer Kleinstadt südwestlich von Kiew, erschossen Angehörige der Einsatzgruppe etwa 70 erwachsene Juden, Männer und Frauen, und ließen etwa 90 Kinder unversorgt in einem Haus eingesperrt zurück. Die beiden Divisionspfarrer überzeugten einen Generalstabsoffizier, dass die Kinder in Sicherheit gebracht und versorgt werden müssten. Die SS setzte sich aber mit Unterstützung des Armeeoberbefehlshabers durch. Sämtliche Jungen und Mädchen wurden erschossen.
Bischof Michael Memelauer berichtete in der Silvesterandacht des Jahres 1941 auch über Briefe, die ihm katholische Geistliche im Froneinsatz geschrieben hatten. Die Zeitdokumente lassen den Zwiespalt zwischen grausamen Alltagserlebnissen einerseits und seelsorgerischer Hilfe für die ihnen anvertrauten Soldaten andererseits erkennen.
Ein als Sanitäter eingesetzter Priester berichtete dem Bischof: „Vor wenigen Stunden habe ich einen Schwerverwundeten aus dem Kugelregen auf den Verbandsplatz getragen und ihm den Verband angelegt. Ich sah, dass es mit ihm zu Ende geht. Ich fragte ihn: ‚Kamerad, darf ich dir den Herrgott geben?‘ Er schaut mich mit großen Augen an und sagt: ‚Kamerad, bist du ein Priester?‘ Meine Antwort: ‚Ja. Ich berge unseren Herrgott in meiner Brusttasche‘. ‚Kamerad‘ so sagte er mit brechender Stimme, ‚das ist der größte Liebesdienst, den du mir erweisen kannst.‘ Nachdem ich ihm die Lossprechung gegeben und die hl. Kommunion gereicht, sagte er mit ersterbender Stimme: ‚Schreib das meiner Frau und meinen Kindern: Ich erwarte sie bei unserem Herrgott‘. Dann schloss er die Augen und starb.“
Der evangelische Feldgeistliche Hans Leonhard hat seine Erlebnisse aus sechs Kriegsjahren in dem Buch „Wie viel Leid erträgt der Mensch?“ verarbeitet. Er berichtet darin zum Beispiel über einen Kollegen, der mit den Nerven fertig ins Lazarett eingeliefert wurde, nachdem er in kurzer Zeit 1500 Menschen beerdigen musste.
Ein schwer verletzter SS-Sturmführer will erst nicht sagen, was er auf dem Herzen hat, traut sich dann aber doch: „Meine Frau erwartet ein Kind. Ich wollte es nicht taufen lassen, aber schreib ihr, sie soll es taufen lassen. Detlev soll es heißen, wenn es ein Bub ist.“ Nicht lange danach starb der Offizier. Hans Leonhard fügte hinzu: „Seine Frau war so glücklich, als ich es ihr schrieb. Sie meinte, sie hätte es nicht fertig gebracht, Detlev – es wurde ein Bub – nicht taufen zu lassen; aber furchtbar schwer wäre es ihr gewesen, wenn sie gegen den Willen ihres Mannes, der ihr die Taufe verboten hatte, hätte handeln müssen“.
Versagen der Kirchen?
Was das Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Christentum angeht, sticht auch heute noch ein Thema in der Diskussion hervor: Haben „die Kirchen“ versagt?
Das Meinungsbild wird hierbei wesentlich bestimmt von dem Theaterstück „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth.
Er wirft darin Papst Pius XII. vor, ein Krimineller gewesen zu sein, der nichts für die Rettung verfolgter Juden getan habe. Der Autor legt einem fiktiven Jesuitenpater diese Worte in den Mund: „Ein Stellvertreter Christi, der das vor Augen hat und dennoch schweigt, aus Staatsräson, der sich nur einen Tag besinnt, nur eine Stunde zögert, die Stimme seines Schmerzes zu erheben zu einem Fluch, der noch den letzten Menschen dieser Erde erschauern lässt – ein solcher Papst ist … ein Verbrecher.“
Das Stück schildert die Versuche des fiktiven Jesuitenpaters Riccardo Fontana Papst Pius XII. über die Vernichtung von Juden in Konzentrationslagern zu informieren. Er drängt den Papst im Oktober 1943 während der Deportation der römischen Juden nach Auschwitz zum deutlichen Protest. Als sein Appell vergeblich bleibt, wählt Fontana das Martyrium und schließt sich selbst den Deportierten an. Hochhuths „christliches Trauerspiel“ wurde 1963 in West-Berlin uraufgeführt. Das löste die bis dahin größte und weitreichendste Theaterdebatte der Bundesrepublik Deutschland aus und sorgte für internationale Kontroversen. Inszenierungen des Stücks führten zu Auseinandersetzungen und Tumulten in mehreren europäischen Ländern.
2007 erschien ein Heft des „Spiegel mit einer Titelgeschichte darüber, dass Atheisten dem für sie nicht existierenden Gott neuerdings vorwerfen, er sei an allem Schuld. Rolf Hochhuth weitere im selben Heft seine Anschuldigungen aufgrund „neuer Forschungserkenntnisse“. Ausdrücklich „nicht als Protestant, sondern als Deutscher“ sagt er, der Papst sei ein herzloser „genuin schlechter Mensch“ und „satanischer Feigling“ gewesen. Für sein Stück beanspruchte er „historische Authentizität“ und fügte hinzu, nach monatelanger Recherchetätigkeit beruhe es gleichwohl nicht auf „einem Dokument oder einer Information“ sondern allein „auf dem Schweigen des Papstes“.
Die Darstellung des ehemaligen Securitate-Generals Ion Mihai Pacepa, Hochhuth sei von Geheimdiensten des Ostblocks für eine Desinformations-Kampagne benutzt worden, wies der Autor zurück: „Ich nenne keine Informanten“.
Birgit Lahann hat das in ihrem Buch „Hochhuth, der Störenfried“ getan. Sie nannte den österreichischen Bischof Alois Hudal und den vatikanischen Diplomaten Monsignore Bruno Wüstenberg als Quellen. Beide hätten einen Groll gegen die Kirche gehegt: Hudal, weil er wegen des Bekanntwerdens seiner Fluchthilfe für NS-Kriegsverbrecher nach dem Krieg als Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell´Anima in Rom abgesetzt wurde und Wüstenberg, weil Pius XII. seiner Karriere im Wege gestanden hatte. Nach Hochhuths Darstellung hat die israelische Ministerpräsidentin Golda Meïr Papst Pius XII. nur wegen ihrer „totalen Unkenntnis“ überschwänglich gelobt. Dass der Papst nach Schätzung des jüdischen Theologe Pinchas Lapide durch seine Diplomatie 700 000 bis 860 000 Juden vor dem Holocaust gerettet hat, kommentierte Hochhuth so: „Was kann man einem Juden glauben, noch dazu einem Theologen, der erlebt hat, wie sein Volk, auch dank des Schweigens des Heiligen Vaters, ausgerottet wurde – und der doch überlief zur Vatikan-Kirche?“ Und der Autor stellte klar: „Das Wort Überzeugungstäter empfinde ich als Ritterschlag“.
Diese Forschungserkenntnisse wurden ermöglicht durch die Öffnung des Vatikanarchivs für die Zeit der ersten Amtsjahre Pius XII. Papst Johannes Paul II. hatte das angeordnet, um die Vorwürfe Hochhuths und anderer Autoren zu entkräften.
Michael Hesemann, der im Gegensatz zu Hochhuth Historiker ist, kam durch Studium der nun zugänglichen Akten zu einer anderen Überzeugung. Für ihn ist Pius XII. „Der Papst, der Hitler trotzte“ und ein subtiler Gegenspieler des nationalsozialistischen Terrors. Hochhuth, der gelernter Buchhändler ist, habe es unseriöser weise unterlassen, die Originalquellen zu studieren. Er zitiere unvollständig und lasse weg, was nicht zum vorgefertigten Urteil über den Papst passe. Mit dem Aushandeln des Konkordats mit den neuen Machthabern habe er (damals noch als Kardinalstaatssekretär Pacelli) für die katholische Kirche eine den Umständen entsprechend günstige Verhandlungsposition für die kommende Auseinandersetzung mit einem brutalen, verschlagenen und rücksichtslosen Regime erreicht und für die deutschen Katholiken gerettet, was er konnte, auch wenn es wenig genug war.
Öffentlich und nicht öffentlich habe er im Namen des Heiligen Stuhls gegen die wiederholten Verletzungen des Konkordats, gegen die Verfolgung der katholischen Kirche in Deutschland und später auch gegen die NS-Rassenlehre, in der die Juden zu Menschen zweiter Klasse gemacht wurden sowie nicht zuletzt gegen den Überfall der Wehrmacht auf Polen protestiert.
Die Nationalsozialisten hätten sehr gut verstanden, dass Pius XII. ihnen nicht wohl gesonnen war und dies auch noch öffentlich kundtat.
1943 sei Adolf Hitler über den Papst so verärgert gewesen, dass er Pläne schmiedete, ihn festnehmen und internieren zu lassen. Als Beispiel für die Auswirkungen der Aktivitäten Pius XII. dokumentiert Hesemann einen Artikel Genfer Zeitung „La Tribune“ vom 18. September 1942 mit dem Titel „Papst Pius XII. protestiert gegen die Verfolgung der Juden in Frankreich“. Hesemann bekräftigt, bei einer öffentlichen Anklage Hitlers durch den Papst, dessen verborgene diplomatischen Aktivitäten dem deutschen Regime nicht bekannt waren, wären alle Klöster durchsucht worden, in denen der Vatikan verfolgte Juden versteckt hielt und über 800 000 Menschen mehr wären ermordet worden.
Wahlverhalten
Oft wird danach gefragt, was denn die Kirchen gegen Hitler getan hätten. Selten geht es darum, was einzelne Christen schon vor 1933 taten oder nicht.
Adolf Kimmel hat für das Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität Berlin zur Beantwortung dieser Frage untersucht, wie sich die Konfessionszugehörigkeit auf das Verhalten bei Reichstagswahlen auswirkte.
Besonders bei katholischen Wählern in Deutschland spielte nach seinen Erkenntnissen die Konfessionszugehörigkeit in politischen Entscheidungen eine größere Rolle als die Klassenzugehörigkeit. Dasgeschlossene katholische Milieus hatte als wichtigste Pfeiler die Kirche, ein in weite Bereiche der Gesellschaft eindringendes Vereinswesen, allen voran den Volksverein für das katholische Deutschland und die Deutsche Zentrumsparte.
Der Protestantismus bildete kein vergleichbares Milieu. Da er in Politik und vielen gesellschaftlichen Bereichen den Ton angab, fehlte ihm auch die Katholiken prägende Kulturkampferfahrung. Protestantische Wähler waren offen für mehrere Parteien. Einig waren sie sich nur in einem: Das katholische Zentrum war nicht wählbar. Die Anziehungskraft des Zentrums auf Katholiken nahm allerdings im Laufe der Zeit ab. Bei den Reichtagswahlen zwischen 1874 und 1884 erhielt es über 80 Prozent der katholischen Stimmen. 1912 lag dieser Anteil nur noch bei 55 Prozent. Adolf Kimmel vermutet „mit einiger Plausibilität“, dass vor allem kirchenferne Katholiken inzwischen andere Parteien wählten. Allerdings stellte das Zentrum auch nicht in allen Wahlkreisen Kandidaten auf, so dass nicht alle Katholiken „ihre“ Partei wählen konnten. Nach den Berechnungen des Zentrumspolitikers Johannes Schauff stimmten aber auch später noch mindestens drei Viertel der bekenntnistreuen Katholiken für die Partei. Die protestantischen Wähler verteilten sich auf konservative und liberale Parteien sowie die SPD. Eine für das katholische Wahlverhalten wichtige Veränderung bei der Gründung der Weimarer Republik war die Einführung des Frauenwahlrechts. Weil katholischen Frauen stärker kirchengebunden waren als Männer, gewann das Zentrum nun wieder um 60 Prozent der katholischen Stimmen. Sein Stimmenanteil im gesamten Deutschen Reich schwankte (gemeinsam mit der Bayerischen Volkspartei, die sich 1919 abgespalten hatte, zwischen 17,7 Prozent (1920) und 14,7 Prozent (1930). Bei den nur noch eingeschränkt freien Wahlen vom 5. März 1933 kamen die beiden Parteien immer noch auf 13,9 Prozent. Die Zentrumswählerschaft zeigte ein außerordentlich hohes Maß an Resistenz gegenüber dem Nationalsozialismus. Bei den Juliwahlen 1932 waren nur 17 Prozent der NSDAP-Wähler Katholiken und die restlichen 83 Prozent fast ausschließlich Protestanten. Selbst 1933 war nur ein knappes Viertel der NSDAP-Wähler katholisch. Die Karte der Wahlkreise im ganzen Deutschen Reich, in denen die NSDAP nur unterdurchschnittliche Stimmenanteile erzielte, ist fast absolut deckungsgleich mit der Karte der Wahlkreise mit überdurchschnittlichem Katholikenanteil. Die starke Bindung an das katholische Milieu mit der geringen Bereitschaft, auch andere Parteien zu wählen, sieht Kimmel als geringe demokratische Reife an. Er will allerdings den logischen Umkehrschluss nicht gelten lassen, dass die Bereitschaft anderer Wählerschichten, auf die Nationalsozialisten umzuschwenken, ein Zeugnis besonderer demokratischer Reife gewesen sei.
Der Hamburger Geschichtsforscher Peter Borowski stellte Wahlergebnisse tabellarisch zusammen, aus denen sich erkennen lässt, wie sich die Stimmenanteile vor und nah der „Machtergreifung“ veränderten. SPD, USPD und KPD gemeinsam schafften im November 1932 30,1 Prozent, im März 1933 aber nur noch 27,2 Prozent. Der Anteil des bürgerlichen Lagers ging von 11,6 Prozent auf 11,1 Prozent zurück. Die NSDAP steigerte sich von 26,8 Prozent auf 38,7 Prozent, Dem katholischen Block (Zentrum und Bayerische Volkspartei) gelang als einziger anderer Kraft ein kleiner Zugewinn – von 12,1 Prozent auf 12,4 Prozent. Der Anteil der Nichtwähler sank von 19,3 Prozent auf 11,2 Prozent. Der Anteil der kleinen Parteien, die hier nicht aufgeführt sind, halbierte sich. Jürgen W. Falter spitzt die Auswirkung katholischen Wahlverhaltens in seinem Buch „Hitlers Wähler“ so zu: „Wenn im Juli 1932 nur Protestanten hätten wählen dürfen, wäre die NSDAP schon damals an die Macht gekommen. Hätte es dagegen nur katholische Wähler gegeben, wäre es wohl nie zu einer legalen Machtübernahme Hitlers gekommen.“
Der führende US-amerikanische Soziologe und
Politikwissenschaftler Seymour Martin Lipset sah den Nationalsozialismus als „Extremismus der Mitte“ und zeichnete den typischen Anhänger der NSDAP im Jahre 1932 als protestantischen Angehörigen der selbständigen Mittelschicht, der entweder auf einem Bauernhof oder in einer kleinen Gemeinde lebt und früher für eine Partei der Mitte oder eine Regionalpartei gestimmt hatte. Diese These wurde Anfang der siebziger Jahre ergänzt und untermauert durch eine Untersuchung des amerikanischen Politikwissenschaftlers Walter Dean Burnham, nach der katholische Wähler eine starke Resistenz gegen eine Ansteckung durch den „nationalsozialistischen Virus“ besessen haben.
Michael F. Feldkamp hat in seinem Buch „Mitläufer, Feiglinge, Antisemiten? – Katholische Kirche und Nationalsozialismus“ nicht nur Wahlergebnisse unter die Lupe genommen, sondern auch Reaktionen in katholisch geprägten Regionen auf eine Maßnahme des NS-Regimes untersucht, die im ganzen Deutschen Reich 1936 nach und nach unternommen wurde: Die Entfernung von Kruzifixen aus den Klassenzimmern der Schulen.
An vielen Orten haben Eltern sich gegen die Entfernung der Kruzifixe gewehrt. Eltern die Entfernung der Schulkreuze aus den Klassenzimmern nicht hingenommen. Im Freistaat Oldenburg, der kirchlich Teil des Bistums Münster war, gab es im November 1936 massive Proteste der Bevölkerung. Am 18. November 1936 versammelten sich in der Kirche St. Maria, Mutter der Sieben Schmerzen zu Bethen bei Cloppenburgs, trotz strömenden Regens rund 3000 Pilger. Kaplan Franz Uptmoor rief zum Kampf um das Kreuz in den Schulen auf. Die Anwesenden reagierten mit stürmischen Beifall und fuhren entschlossen in ihre Gemeinden zurück.
Es bildete sich eine Widerstandsgruppe, die ihre Texte per Kurier an die einzelnen Pfarreien verschickte. Protestschreiben an die Regierung wurden verfasst und drei Tage nach einer Kriegerwallfahrt fuhr die erste Abordnung nach Oldenburg, um sich bei Minister Pauly persönlich zu beschweren. Weitere Delegationen folgten, und am 25. November standen sie mit 75 Autos vor dem Ministerium.
Am Ende sah sich Carl Röver, der oldenburgische Gauleiter, gezwungen, auf einer von stürmischen Protesten begleiteten Versammlung in der Münsterlandhalle in Cloppenburg am 25. November 1936 den Erlass teilweise zurückzunehmen und das Kreuz weiterhin in Schulen zu erlauben. Am 30. Juni 1937 wurden sechs Männer, die am Kreuzkampf teilgenommen hatten, von der Polizei verhaftet, von denen einer in das Konzentrationslager Oranienburg gebracht wurde. Wenig später wurden fünf weitere Personen verhaftet und inhaftiert. Seit 1961 erinnert auf dem Marktplatz von Cloppenburg eine Denkmalanlage aus Sandstein mit Hochkreuz an die Protestversammlung gegen den „Kreuzerlass.
Alle zwei Jahre findet im Wallfahrtsort Bethen zur Erinnerung an den Kreuzkampf ein Bekenntnistag statt. Joachim Kuropka, emeritierter Professor für Geschichte an der Universität Vechta, betont, dass es beim Kreuzkampf nicht in erster Linie darum gegangen sei, christliche Symbole zu schützen, sondern darum, christliche Werthaltungen zu leben. Er weist darauf hin, dass Eltern in Goldenstedt 1938 gegen die Schließung einer katholischen Bekenntnisschule gestreikt und dass sich 1942 Bürger Cloppenburgs erfolgreich gegen die Deportation von Sinti und Roma gewehrt hatten.
Als 1937 und 1941 in Gebieten im Westen und Süden Deutschlands Kruzifixe aus den Schulen entfernen sollten, regte sich erneut Widerstand. Ein Polizeibericht vom 30. Juni 1941 aus dem bayerischen Ebermannstadt, südlich von Bamberg gelegen, stellte fest: „Wesentlich ernster ist dagegen die Missstimmung zu werten, die der Kruzifixerlass bei dem glaubenstreuen katholischen Landvolk auslöste. Vielleicht seit Jahren erschütterte keine staatliche Maßnahme beziehungsweise Anordnung das Vertrauen so sehr, als dies hier geschah.“ Der Erlass sei „praktisch unwirksam“ geblieben.
Auch ein Dreivierteljahrhundert nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes wird immer noch die Verfolgung verschiedener Opfergruppen gegeneinander aufgerechnet. Olaf Blaschke zum Beispiel hat für die Universität Saarbrücken die Haltung der Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus untersucht. Ihm missfällt die Aussage Reinhard Heydrichs, dass auch Priester Staats- und Volksfeinde waren. Er bezweifelt, dass das die allgemeine Ansicht von führenden Nationalsozialisten war. Heydrichs Worte und ihre unangebrachte Verwendung heutzutage „überhöhten“ die Rolle der Geistlichen. Zwar sei „mindestens jeder dritte Weltpriester“ ein- oder mehrmals „von Maßnahmen des NS-Regimes betroffen“ gewesen und mehr als 400 deutsche Priester in das KZ Dachau oder ein anderes Konzentrationslager verschleppt worden. Diese mehr als 400 seien aber nur 1,1 Prozent der 38291 Verfolgungsfälle. Blaschke kam zu dem Schluss, verbreiteter als Widerstand seien unter Kirchenleuten Kooperation und Anpassung gewesen. Berichte des Sicherheitsdienstes wie der folgende im Reichssicherheitshauptamt lassen allerdings erkennen, dass zahlreiche Pfarrer bei der Kritik am Regime von der Kanzel herab kein Blatt vor den Mund nahmen: „Entgleisungen katholischer Priester in ihren Predigten beweisen immer wieder aufs Neue, wie wenig diese Kreise mit dem Sieg des nationalsozialistischen Deutschland einverstanden sind“.
Der Krieg, so der SD, werde als „Strafe Gottes“ dargestellt. Seelsorgebriefe an die Front seien „dazu angetan, die Stimmung der Soldaten im Feld negativ zu beeinflussen“. Große Teile des Klerus hätten sogar die Hoffnung, dass Deutschland den Krieg verlieren möge.
Ein Bericht des Reichssicherheitshauptamts aus dem Herbst 1939 über „die gegenwärtige politische Haltung der Kirchen und Sekten“ kommt jedenfalls zum dem Ergebnis, „dass die offizielle Vertretung des Katholizismus zum größten Teil nach außen formell den Anordnungen und Maßnahmen der Staatsführung sich fügt, die völkischen Gesetze, aus denen heraus Deutschland zu seinem Handeln gezwungen wurde, aber restlos ablehnt und deshalb auch nicht in der Lage ist, die Ziele der nationalsozialistischen Staatsführung mit innerer Begeisterung zu vertreten oder das Volk mit dieser Begeisterung zu erfüllen. In zahllosen Einzelbeispielen tritt vielmehr der passive Widerstand und die stille Sabotagearbeit der katholischen Priesterschaft gegenüber Führer und Reich in Erscheinung“.
Der Nationalsozialismus war nicht der erste Feind, der das Christentum zerstören wollte. Wie alle anderen ist er gescheitert. Auch in den Jahren von 1933 bis 1945 hat sich bewahrheitet, dass „das Blut der Märtyrer der Same neuer Christen ist“, wie schon Tertullian formulierte. Aber bis zum Ende der Zeiten wird die Kirche in dieser Welt bleiben, was sie von Anfang an gewesen ist: Ecclesia militans – die streitende Kirche.
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