Predigt P. Giuseppe Girotti

Uns ist es gelungen, den erhaltenen Text einer Predigt, die P. Giuseppe Girotti im Januar 1945 in der Kapelle des Priesterblocks 26 hielt, zu übersetzen. Wir danken Frau Nadia Sotiriou aus Fürstenfeldbruck für ihre maßgebliche Mitwirkung bei der Übersetzung.

Anlass der Predigt war die Gebetswoche für die Einheit der Christen (welche immer noch jedes Jahr begangen wird).

Beim Lesen muss bedacht werden, dass die Predigt 1945 und damit noch lange vor dem 2. Vatikanischen Konzil gehalten wurde. Die damalige Wortwahl würde heute mindestens irritieren. Trotzdem ist der Text ein bewegendes Zeugnis.

Wir hoffen in der nächsten Zeit weitere Informationen dieses besonderen Märtyrers übersetzten und veröffentlichen zu können, da über ihn auf Deutsch bisher kaum Informationen zur Verfügung stehen.

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Predigt über die Einheit der Christen

Vater, heilige Sie in der Wahrheit. Ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben; alle sollen eins sein. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ (Joh 17,17.20-21)

Dieses Gebet, bezeichnen wir gerne als das Gebet des Herrn par excellence.

Noch heute hebt die heilige Mutter Kirche dieses Gebet in besonderer Weise hervor und wiederholt es mit größtem Eifer, um die Einheit aller Christen zu erflehen, und ist sich gänzlich der Wichtigkeit dieses Gebetes bewusst.

Daher, wenn ich jetzt einige Worte zu diesem Thema wiederhole, ist es nicht um euch zu belehren (so eine arrogante Haltung wäre unverzeihlich), sondern zur gegenseitigen Auferbauung, eurer und meiner.

Als das Licht der Wahrheit des Evangeliums, das für die Rettung der aller Völker enthüllt worden ist, sich auf der ganzen Welt zu verbreiten begann, war es notwendig, dass der Herr das Wort der Apostel bestätigte, begleitet von äußerlichen Wundern, damit eitle Überlegungen überwunden und die Eitelkeit der irdischen Weisheit aufgelöst, die Kulte heidnischer Gottheiten widerlegt und die Gottlosigkeit der Frevler zerstört werden könnten.

Nachdem Petrus, Paulus und ihre Nachfolger das Christi Kreuz als Siegeszeichen in die Mauern Roms gebracht hatten und die Kirche errichtet worden war, wohl begründet auf dem Fundament der Apostel, auf der gesunden Lehre und der wahren Nächstenliebe, nachdem die Saat des Evangeliums tiefe Wurzeln gesenkt hatte in den Acker des Herrn und dabei Frucht 30-, 60-, oder 100-fach gebracht hatte, offenbarte sich die Wahrheit nicht mehr gestützt auf äußerliche Zeichen, sondern innerliche, d.h. auf die Existenz und das Wesen der Kirche. In der Tat bestätigen der apostolische Charakter der Kirche und ihre Katholizität (diese sind Eigenschaften, die die Kirche allen Christgläubigen zu glauben vorschlägt und die von allen christlichen Gläubigen immer und überall fest und unantastbar geglaubt wurden) ihre göttliche Herkunft und Mission. Überall ist das Wort des Evangeliums gewachsen auf der Welt, nicht anders als das Senfkorn, aus dem ein belaubter Baum wird, und hat dabei trotzdem seine Identität bewahrt mit dem Samen voller Verheißungen, den der göttliche Sämann in dieser Welt säen wollte. Und das äußere Erscheinungsbild des Laubbaums verhindert keineswegs, dass seine innere Einheit und enge Verbindung mit Christus, dem Haupt durch die apostolische Sukzession klar und deutlich sichtbar wird.

Deshalb muss die Kirche Gottes, die durch die Gnade des Erlösers in ihrer Seele sichtbar eine Einheit ist, auch in ihrem Körper sichtbar Einheit zeigen. Aus diesem Grund beten in diesen Tagen alle Christgläubigen, die sich ehren des Namens Christi (Orthodoxe, Anglikaner, Lutheraner, Calvinisten usw.), gemeinsam mit der katholischen Kirche zu Gott um die Gnade der Einheit.

Darüber hinaus fordert die Heilige Mutter Kirche, die Lehrerin der Wahrheit, alle, insbesondere die Orientalen, auf, diejenigen zu studieren und nachzuahmen, die so energisch und mit so viel Mut gekämpft und ihr Leben ruhmreich gegeben haben, um die Einheit der Kirche zu verteidigen, sowohl bezüglich der Lehre, wie auch bezüglich Kult und Autorität: „Blickt auf den Felsen, aus dem ihr gehauen seid“ (Jes 51,1), die heiligen Väter und eure Vorgänger, damit ihr alle, umgeben von so vielen Zeugen, die Last der Spaltung ablegen könnt.

 

Der Apostel der Völker redet fast prophetisch von denen, die, den Schritte der Patriarchen und Propheten folgend, dank des Glaubens Reiche gewonnen haben, Gerechtigkeit geübt haben, Versprechen einlösten. Einige wurden gefoltert, andere erlitten Spott und Auspeitschung, Ketten und Gefängnis. Sie wurden gesteinigt, misshandelt, zersägt, sie wurden mit dem Schwert getötet, sie zogen in Schaffellen verhüllt umher, notleidend, bedrängt – die Welt war ihrer nicht würdig! -, sie irrten umher in Wüsten und Gebirgen, in den Höhlen und Schluchten des Landes (vgl. Hebr 11,33ff).

(…) Es ist nicht nötig, das, was wir sagen, durch unsere Argumentationen, oder mit Vorbildern von heiligen Männern zu beweisen, wenn wir die eigenen Worte des Herrn wiedergeben können, mit denen er auf klare und unumstößliche Weise sagt: Ein Reich kann nicht ins sich selbst geteilt bestehen bleiben und „Jedes Reich, das nicht einig ist, geht zugrunde“ (Mt 12,25). Die Schafe, die nicht zum Stall Christi gehören, müssen zu ihm gebracht werden, damit sie seine Stimme hören und zu einer einzige Herde mit einem einzigen Hirten werden. (Joh 16)

Jesus spricht von der Kirche im Singular und nennt sie die seine: „Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche gründen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen...“ (Mt 16,18). Derselbe Jesus ist der einzige Weinstock, durch die die verschiedenen Glieder der Kirche vereinigt sind, wie Reben, in einer vollkommenen organischen Einheit (vgl. Joh 15,1ff). Wer von uns schließlich ignoriert die schönen und angemessenen Bilder des Gebäudes, der Hochzeit, des mystischen Leibes, mit denen der heilige Paulus mit gleicher Klarheit und Schönheit unzweifelhaft die Einheit der Kirche bekräftigt?

Niemand entgeht, dass die Einheit aller Kirchen und Gemeinschaften in unseren Tagen bitter nötig ist. Sind wir uns uns alle einig, dass die göttliche Vorsehung jene organisierten Formen des Unglaubens, die für dieses enorme Verbrechen, diesen schrecklichen Krieg, verantwortlich sind, weder gewollt noch an die Spitze unseres unglücklichen, wiederaufbaubedürftigen Europas gestellt hat?Diejenigen, die dieses schändliche Chaos, das vor unseren Augen liegt, vorbereitet und durchgeführt haben, sind völlig unfähig, es wieder aufzubauen, da bei jedem Bau das einzige Fundament der Eckstein Christi ist, den sie abgelehnt haben. In der Tat, unsere unglücklichen Zeiten können nur verglichen werden mit den Zeiten der Barbaren, die nach dem Untergang des Römischen Reiches kamen; damals kannte man keinen anderen Faktor, der die Ordnung herstellte oder neu begründete, außer der Kirche. Die Kirche Christi war in dieser Zeit, und sie ist es heute noch, der einzige Rückzugsort der natürlichen Ordnung in Politik und im sozialen, familiären, individuellen und wirtschaftlichen Leben. Die Kirche war und wird immer sein, der einzige Rückzugsort der Menschlichkeit, Liebe und Barmherzigkeit; die einzige Institution, die das ewige Gebot vom Reich Christi perfekt widerspiegelt. Für alle vernünftigen Menschen ist es in der Tat klar, dass der Acker dieser Welt vom selben Autor der Natur und der Geschichte (die eine Heilsgeschichte ist) tiefer gepflügt und vollkommener geheilt werden kann, als es für irgendjemanden anderen möglich ist.

Nun, diese außerordentliche Mission der Kirche im aktuellen sehr schweren Moment der Geschichte, liebe Brüder, kann nicht vollkommen vollendet werden, wenn die Christgläubigen, vereint in der Seele der Kirche (weil die Gnade des Erlösers alle umarmt, die in ihrem Schoß gewachsen sind), stattdessen im sichtbaren Körper geteilt bleiben auf Grund des Schismas und der Spaltungen. Die Handlungsfähigkeit der Kirche setzt die Einigkeit voraus. Die Kirche ist tatsächlich innerlich geschwächt auf Grund des bedauerlichen Schismas der östlichen Kirchen und der bedauerlichen Reformation außerhalb der katholischen Kirche, sie sich im 16. Jahrhundert ereignete. Auf Grund dieser zwei schweren Wunden blutete die Kirche Christi und verliert noch heute viel Blut, dass weder die katholische Kirche, noch unsere orientalischen oder reformierten Brüder nicht die geringste Macht haben die öffentliche Ordnung wieder herzustellen, aber überlassen gezwungenermaßen das freie Feld den Deisten und den Atheisten, die als Erzfeinde des christlichen Namens das gesamte öffentliche Leben durch ihr heidnisches Verhalten durcheinander gebracht haben.

Wenn die Lage so ist, was wollen wir Katholiken tun? Erst einmal muss man beten. Dies ist an sich eine wirksame Abhilfe und absolut notwendig um die außerordentliche Gnade der Einigung aller Kirchen zu erreichen. Daher müssen wir, wenn wir in unsere Heimat zurückgekehrt sind, die Herden, die uns anvertraut sind, insbesondere die Jugendlichen und die Kranken, mit geeigneten Ratschlägen dazu bewegen, diese Gnaden zu erflehen. Wir sind (oder müssen) alle überzeugt sein, dass unser gemeinsamer Vater im Himmel nicht angemessen verehrt wird, solange Christi Körper auf der Erde zerrissen ist; wir müssen überzeugt sein, dass der erlösende Wille des Vaters nicht geschehen kann, oder es wenigstens ein starkes Hindernis ist, wenn die Christen nicht einig sind und sich nicht von unserem täglichen eucharistischen Brot nähren. Der himmlische Vater möge unsere Schuld vergeben, unsere Lauheit bei der Verbreitung und Verteidigung des Glaubens, jegliches Pharisäertum, das sich von Äußerlichkeiten Ruhm zu erlangen hofft, oder von orthodoxen Glaubensformeln, aber so weit weg vom Geist ist, von den Wünschen und von der Nachahmung unseres Erlösers. Möge Gott uns befreien von der sehr gefährlichen Versuchung, bei der alle, die die Wahrheit haben, die Wahrheit nicht leben, die die einen gesunden Aspekt haben und einen lebendigen Geist haben, mit ihrem Leben eine Schande sind für die, die draußen sind. Möge der himmlische Vater vor jeglichem Bösen bewahren, insbesondere vor der Personifikation des Bösen, dem Lügner von Anfang an, dem Teufel, der Anstifter ist von Uneinigkeit und Zwietracht zwischen den Menschen.

 

Was wir in unserem Gebet leidenschaftlich erbitten, müssen wir auch mit Wort und Beispiel erreichen, indem wir lehren und ermahnen, dass alle Hoffnung auf unsere Erlösung in der Gnade unseres Herrn Jesus Christus liegt, der unser einziger Mittler und Erlöser der gesamten Menschheit ist, immer vor unseren Augen habend, dass der Herr uns an seinem Kreuz erlöst hat. Deshalb stoßen wir im Kampf gegen das Geheimnis des Bösen, das sich vor allem in der Uneinigkeit der Kirche manifestiert, sicherlich auch auf das Geheimnis des Kreuzes, das heißt auf den Widerstand, die Feindschaft und das Misstrauen seitens derer, die sich äußerlich verbunden fühlen durch den gleichen Glauben, doch es mangelt ihnen an der Nächstenliebe und dem innigen Verständnis, das unsere Herzen bereits unaussprechlich mit denen verbindet, deren Verstand nach dem wahren Glauben sucht, ihn aber noch nicht erreicht hat ...

Schließlich es ist klar, dass wir Tag und Nacht dem Studium der Theologie und der Kirchengeschichte widmen müssen.

Deshalb lasst uns mit dem Gebet, mit einem heiligen Leben, mit dem Studium der Wahrheit unseren irdischen Priesterweg vollenden.

In der Tat, wenn wir aufmerksame Hörer des Wortes des Evangeliums sind und den Geboten der Kirche gehorchen, das heißt, wenn wir durch die Gelegenheit der Lehre und durch Wahrheit stärken, was schwach ist, heilen was gebrochen ist, korrigieren, was den Weg verfehlt hat, die Spaltungen heilen und wir die Nahrung des Lebens in der Nahrung der Ewigkeit verteilen um die Familie der Gläubigen zu ernähren, und indem wir dies tun, werden wir als beharrlich darin anerkannt: Wir werden die Herrlichkeit des Herrn erlangen als treue Spender und nützliche Verwalter und wir werden über alle Güter gestellt sein, das heißt wir werden in Gottes Herrlichkeit sein. Und es gibt nichts Besseres als das.

Amen

Dachau, den 21. Januar 1945

(Italienischer Originaltext: Fr. ROSSI Massimo O.P., Beato Giuseppe Girotti, un domenicano martire, testimone della fede nellínferno di Dachau, 2013, S. 29ff)