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Pfarrer Emil Muhler, Münchner im KZ Dachau

Pfarrer Emil Muhler, Münchner im KZ Dachau

Bildunterschrift: Pfarrer Dr. Emil Muhler. Foto: Archiv Pfarreienverband Isarvorstadt

 

Artikel von Klemens Hogen-Ostlender

Emil Muhler wurde am 21. April 1892 in München-Giesing geboren und wuchs dort auch auf. Er bezeichnete den Stadtteil später als „ausgesprochen proletarisches Münchner Vorstadtviertel“. Früh entwickelte er ein Gespür für soziale Fragen. Als er die Berufung zum Priestertum fühlte, hätte er sich wohl nicht träumen lassen, dass das später einmal seinen Namen in drei Erdteilen bekannt machen würde. Nach dem Besuch des Luitpoldgymnasiums begann er in München und Innsbruck ein Studium der katholischen Theologie, Philosophie und Nationalökonomie. Die Teilnahme am Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger unterbrach die Ausbildung. Fünf Jahre nach Kriegsende empfing Emil Muhler die Priesterweihe und wurde Kaplan in Dachau. Seine akademische Laufbahn ging aber weiter. 1924 wurde der 32jährige mit einer Arbeit über die „Idee des gerechten Lohnes nach katholischer Auffassung mit besonderer Berücksichtigung des Familienlohnes“ zum Doktor der Nationalökonomie promoviert.

Im selben Jahr übernahm Emil Muhler die Pfarrstelle der neugegründeten Münchener Pfarrei St. Andreas im Schlachthofviertel. Das Kirchengebäude in der Adlzreiterstraße machte nicht den Eindruck eines Gotteshauses. Es war tatsächlich auch der umgebaute Tanzsaal eines Hotels. Die Erzdiözese hatte ihn 1922 gekauft, nachdem die Idee entstanden war, im Viertel eine Kirche einzurichten. Außer Emil Muhler hatte sich angesichts des für den Aufbau einer Kirchengemeinde nicht unbedingt günstigen sozialen Gefüges, niemand um die Pfarrstelle beworben. Er aber formte, nicht zuletzt durch seine ihm eigene Art des Umgangs mit seinen Pfarrangehörigen, St. Andreas zu einem geschlossenen Pfarrbezirk und zu einer lebendigen Gemeinde. Ende 1924 kam ein Kreuz auf den nachträglich errichteten Glockenturm, 1928 war der Umbau der Notkirche zu einem würdigen Gotteshaus geschafft.

Muhlers soziales Engagement schlug sich auch abseits seiner seelsorgerischen Aufgabe in Veröffentlichungen von Artikeln über soziale Fragen im  Bayerischen Kurier, dem Organ der Bayerischen Volkspartei,  nieder. Er  warb auch für die Republik, die die alte Monarchie 1918 abgelöst hatte und errang 1930 für die BVP (Bayerische Volkspartei) einen Sitz im Münchner Stadtrat. Dort trat er mutig den Nationalsozialisten entgegen, die er spätestens seit dem Hitlerputsch 1923 als Gefahr erkannt hatte. Um Katholiken für die Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten, aber auch mit Kommunisten rhetorisch und argumentativ zu schulen, gründete der in St. Andreas 1932 die „Zentralstelle der Katholischen Aktion“.

Nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 drängten die neuen Machthaber den  streitbaren Pfarrer aus dem Stadtrat. Im selben Jahr bereits gründete der damalige Münchner Polizeipräsident, Heinrich Himmler, das Konzentrationslager Dachau. Die dortige Lokalzeitung pries es als  „mustergültiges KL“, das die  Stadt „weit über die Grenzen des Vaterlands“ bekannt machen werde. Über das Lager, in dem sehr bald Häftlinge getötet wurden, verbreitete sich in der  Bevölkerung das geflügelte Wort  „Lieber Gott, mach’ mich stumm, daß ich nicht nach Dachau kumm.“  Emil Muhler hielt mit Kritik am Nationalsozialismus trotzdem nicht zurück. Seine Schrift mit dem Titel  „Die christliche Weltanschauung im Kampf der Geister" wurde beschlagnahmt, auf den Index der verbotenen Schriften gesetzt und durfte auch nicht in Leihbüchereien geführt werden.

Pfarrer Muhler hielt auch Kontakt zu Anhängern der KDP, die im Viertel wohnten, beseelt vom Wunsch, sie in den Schoß der Kirche zurückzuführen. Bei einem Seelsorgebesuch sprach ein aus der Kirche ausgetretenen Kommunist Ende 1933 mit Emil Muhler über das Konzentrationslager. Der erfuhr dabei Dinge, die der KPD-Reichstagsabgeordnete Hans Beimaler als Insasse des KZ erlebt und nach seiner  spektakulären Flucht aus dem Lager im Ausland öffentlich gemacht hatte. Beimaler schilderte seine vier Wochen hinter Stacheldraht als ununterbrochene Folge von Folter und sadistischen Quälereien bis hin zur Morddrohung, wenn er sich nicht selbst umbrächet. Pfarrer Muhler berichtete seinen Kaplänen von dem Gespräch. Einer von ihnen, Oskar Thaler, erzählte es Georg Sollacher Kaplan in der Pfarrei St. Benno, weiter. Der war Religionslehrer und sprach mit zwei Mitgliedern des Kollegiums darüber. Die beiden Frauen gaben es an die Schulleitung weiter, und die denunzierte Sollacher bei der Gestapo. Muhler, Thaler und Sollacher wurden daraufhin von der Bayerischen Politischen Polizei verhaftet.  Sie kamen  zunächst ins Gefängnis München-Stadelheim und dann in die Haftanstalt München-Neudeck. Der Pfarrer weigerte sich standhaft, die Identität seines Gesprächspartners preiszugeben. Die Polizei fand den Namen trotzdem heraus. Die drei Angeklagten mussten sich im Januar 1934 wegen angeblich unwahrer Behauptungen vor dem Sondergericht München im Justizpalast verantworten. Der Informant, der dem Pfarrer die Geschehnisse im Konzentrationslager erzählt hatte, war dort mittlerweile selbst Häftling und wurde als Zeuge vorgeführt. Der Pfarrer erhielt vier Monate Gefängnis, die er in Neudeck und Landsberg verbüßte. Oskar Thaler erhielt drei Monate Haft, Georg Sollacher fünf Monate. Der Staatsanwalt hatte für alle jeweils acht Monate Freiheitsentzug gefordert. Er setzte übrigens nach dem Ende des Nationalsozialismus seine Karriere in der Justiz fort und wurde Präsident des Obersten Bayerischen Landesgerichts.

In Deutschland berichteten viele der gleichgeschalteten Zeitungen über den Prozess, von den die oldenburgischen „Nachrichten für Stadt und Land“ über das Blatt „Merseburger Korrespondent“ in Halle bis zum „Heidelberger Volksblatt“ und Zeitungen im Raum München. Auch in der Kärntner Zeitung wurde das Verfahren erwähnt. Das „nationalsozialistische Kampfblatt  Hakenkreuzbanner“ erschien mit dem Ausdruck „Gräuelmärchen“ in der Überschrift und verschwieg, was das Gericht für Muhler „strafmildernd“ wertete: Der Pfarrer habe im Weltkrieg als Oberleutnant „voll seine Pflicht getan“. Aber auch international machte das Verfahren Schlagzeilen. Informationen über die Zustände in deutschen Konzentrationslagern hatten unter anderem durch Hans Beimlers Bericht vielfach Interesse hervorgerufen. In London etwa machte die „Sun“ nun den Prozess zum Gegenstand ihrer Berichterstattung, in Denver im US-Bundesstaat Colorado der „Register“, in Townsville an der Ostküste Australiens das „Daily Bulletin“. In Übersee fand sich meist auch ein Hinweis, der in deutschen Zeitungsartikeln fehlte: Zahlreiche Menschen, die in den Justizpalast nicht eingelassen wurden, beten vor dem Gebäude für die Angeklagten.

Emil Muhler wollte vor Gericht eigentlich die sachliche Richtigkeit der Aussagen über die Zustände im KZ klären lassen. Auf die Bitte des Münchener Erzbischofs, Kardinal Faulhaber, unterließ er das aber. Der Pfarrer verfasste allerdings 1936/37 über seine Verhaftung und den Prozess eine Denkschrift mit dem Titel „Erlebtes und Erlittenes“. Er bekräftigte darin seine Überzeugung, dass im Konzentrationslager tatsächlich Greueltaten verübt wurden und dass seine Kritik an der Zusammensetzung des Sondergerichtes und dem Verhalten der Gerichtsmitglieder berechtigt war. Die Ablehnung der nationalsozialistischen Weltanschauung hielt er aufrecht und übte auch kircheninterne Kritik: „Ich bin der Meinung, daß die deutschen Bischöfe die gleiche Ansicht in einer besonderen Erklärung hätten niederlegen müssen.“

Die Denkschrift fiel der Gestapo 1940 in die Hände. Emil Muhler wurde erneut verhaftet und zwei Monate nach dem Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 im Rahmen einer Großaktion mit tausenden Opfern ins KZ Dachau verschleppt, obwohl er mit dem Anschlag nichts zu tun hatte. Trotz lebensbedrohlicher Quälereien überlebte er dort dank seiner robusten Konstitution bis zum April 1945, als amerikanische Truppen sich dem Raum München/Dachau näherten.  Auf einem der Dachauer Evakuierungsmärsche entdeckte ein ehemaliger Pfarrangehöriger den Geistlichen am 26. April 1945 bei Percha am Starnberger See und verhalf ihm zur Flucht.

Dr. Emil Muhler kehrte nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft  in seine Pfarrei St. Andreas zurück. Es gab nur noch eine behelfsmäßige Notkirche. Die ursprüngliche war samt Schwesternheim und Kindergarten im Juli 1944 amerikanischen Bombenangriffen zum Opfer gefallen. Erst 1950 erwarb die Erzdiözese den Bauplatz für eine neue Kirche nur 100 Meter entfernt in der Zenettistraße. Ein Kirchenbauverein half mit, die finanziellen Mittel für einen Neubau aufzubringen. Am 29. November 1953, dem 1. Adventssonntag, konsekrierte Kardinal Josef Wendel das neue Gotteshaus. Trotz aller Arbeit, die all das für den Pfarrer mit sich brachte, setzte Muhler auch sein politisches Engagement fort. Er wurde Mitbegründer der CSU und Mitglied des Bayerischen Senats. Bis zu seinem Tod gehörte er dem CSU-Landesvorstand an. An der Universität München war er zunächst Lehrbeauftragter, später Honorarprofessor für Wirtschafts- und Sozialethik. Er wurde mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet und erhielt den Ehrentitel Päpstlicher Hausprälat.

Ein Raum in seinem ehemaligen Pfarrhaus heißt seit 1998 „Dr.-Emil-Muhler-Zimmer“ und enthält Dokumente seines Wirkens sowie Gegenstände aus seinem persönlichen Besitz. Ein nahegelegener Verbindungsweg trägt die Bezeichnung „Emil-Muhler-Torweg“. Der langjährige Pfarrer von St. Andreas hatte seine Pfarrstelle bis zu seine Tod am 19. Februar 1963 inne. Er wurde auf dem Münchner Waldfriedhof beigesetzt.

 

 

 

Bildunterschrift: Pfarrer Dr. Emil Muhler. Foto: Archiv Pfarreienverband Isarvorstadt

 

 

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