Priesterkleid im KZ Dachau

Foto: Kruzifix aus der Kapelle der Priesterblocks im KZ Dachau, im Block 26. Rechte: Verein Selige Märtyrer von Dachau e.V.

„Ich will das Ehrenkleid des Priesters tragen, bis man es mir nimmt“

Was Kaplan Alfred Berchtold bei seiner Ankunft im KZ Dachau erlebte,

ein Artikel von Klemens Hogen-Ostlender

An priesterlicher Kleidung scheiden sich heute oft die Geister. Manche wollen nicht nur sie, sondern Priester ganz allgemein am liebsten abschaffen. Beim „Synodalen Weg“ hatten die, die das Weiheamt für überflüssig hatten, allerdings dann doch nicht die Mehrheit. 1938 spielten solche Auseinandersetzungen noch keine Rolle. In Dachau begann aber die Einkerkerung tausender Geistlicher im Konzentrationslager. Ein großer Teil von ihnen wurde dort umgebracht. Sie unterschieden sich äußerlich nicht von den Häftlingen, die als Kommunisten oder andere politisch Verhasste „nach Dachau“ kamen. Den Gefangenen verschiedener Konfessionen (darunter fast 95 Prozent Katholiken) wurde jedes äußerliche Zeichen ihres Standes genommen. Alle trugen blau-grau gestreifte, meist schlecht sitzende und gegen sommerliche wie winterliche Witterung nur unzureichend schützende Jacken und Hosen, die man im Lagerjargon „Zebrakleidung“ nannte.

Auch der deutsch-österreichische Kaplan Alfred Berchtold, dessen Erinnerungen nach dem Krieg in Eugen Weilers Buch „Die Geistlichen in Dachau“ einflossen, war betroffen. Wohlmeinende bayerische Polizeibeamte rieten dem Kaplan während des Transports ins KZ, das Priestergewand abzulegen, was der Geistliche als „Priesterzivil“ bezeichnete. Den schwarzen Anzug mit Kollar. Priester würden bei der Ankunft oft besonders brutal behandelt, warnten die Polizisten. Berchtold weigerte sich: „Man hat mich als Priester verhaftet. Ich will das Ehrenkleid des Priesters tragen, bis man es mir nimmt. Mag kommen, was will, mag es für mich bringen, was es will.

Berchtold war glaubensfest, aber angesichts seiner Situation dennoch von Verzweiflung erfüllt. Im Polizeigewahrsam fiel ihm sogar das Beten schwer: „Meine Finger halten den Rosenkranz umklammert. Aber ich bringe kein Ave fertig. Nur das Eine flüstern meine Lippen: Herr, wenn es möglich ist... Nur das Eine fleht mein Herz: Laß mich sterben in dieser Nacht!“ Ein Mithäftling flüstert ihm nachts ins Ohr: „Herr Pfarrer,  Sie tun mir leid. Wenn S´doch den Pfarrerkragen net anhätten. Können S´den net ausziehen? Die Pfarrer und die Juden haben es am schlechtesten“. Berchtold antwortet ganz fest: „Ich verleugne meinen Stand und meine Überzeugung nicht. Ich müßte mich vor mir selber schämen, wenn  es täte. Mehr wie erschlagen können sie mich nicht. Was liegt schon daran, ob früher oder später?“

Im Lager erhält er sofort bei der Ankunft Schläge und Fußtritte: „Was hast du denn angestellt, du Pfaff?“ Der Zölibat wird mit unflätigsten, gemeinsten Witzen verhöhnt. Es hagelt Prügel und Tritte ohne Ende. Blut strömt dem Kaplan aus Mund und Nase, ihm wird schwarz vor Augen, er denkt „Sterben dürfen!“  Aber ein Gedanke gibt ihm die Kraft, zu widerstehen: „Da sehe ich Dich, Christus, im Kasernenhof zu Jerusalem, die Dornenkrone auf dem Haupte, die Purpurfetzen um die Schultern und rings um Dich die Meute der Soldaten. Nun weiß ich, was Du gelitten hast nun weiß ich, was es heißt ,Sie verspotteten ihn`“! Berchtold betet für seine Peiniger: „Herr, rette sie aus der Hand Satans“.

Nach der Misshandlung wurde Alfred Berchtold mit anderen „Neuzugängen“ buchstäblich in einer Reihe an die Wand gestellt. Hinter dem Rücken der Häftlinge gehen SS-Männer auf und ab, halten ihre Revolver in der Hand und entsichern sie immer wieder  hörbar. Die an der Wand befürchten, jeden Moment erschossen zu werden. Ein Spiel mit der Todesangst. Berchtold betet „heilige Maria, bitte für uns, jetzt und in der Stunde unseres Todes...“ Ist seine Todesstunde schon gekommen? Schüsse fallen, aber der Kaplan erlebt Wochen später Weihnachten im KZ. Religiöse Gespräche waren an sich gefährlich, galten als "politisieren" und wurden mit 25 Hieben und 42 Tagen Bunker bestraft. Aber an Weihnachten ermutigt Berchtold Mitgefangene: „Nicht Befreiung dürfen wir vom Friedenskönig der Weihnacht erwarten. Wir werden uns weiter dahinschleppen unter dem Kreuz des geschundenen, gequälten Häftlingslebens, vielleicht Jahre noch. Aber in unserer Brust will er ein stilles Flämmchen des Glücks entzünden."  Für den Priester folgten sechs weitere Weihnachtsfeste im KZ, das er schließlich entgegen allen Befürchtungen überlebte. Ende April 1945 wurde er auf einem Evakuierungsmarsch von amerikanischen Truppen befreit. Er blieb seinem Apostolat treu und baute im oberbayerischen Kloster Reisach eine Bildungsstätte für Arbeitnehmer auf, war schließlich Leiter des Sozialinstituts der Katholischen Arbeiterbewegung Süddeutschlands und starb Anfang 1985 in Bad Reichenhall, unweit seines Geburtsortes Bayerisch Gmain, im Alter von 80 Jahren.

86 Jahre sind seit den geschilderten Ereignissen vergangen. Alfred Berchtold hat noch erlebt, dass Priesterkleidung ein umkämpftes (kirchen)politisches Thema wurde. Die rechtliche Lage schien und scheint zwar ganz einfach zu sein. „Der Geistliche muss in der Öffentlichkeit durch seine Kleidung eindeutig als solcher erkennbar sein“ heißt es in ihrer Partikularnorm N 5. 5, die auf dem Kirchenrecht beruht. Die Ausführungsbestimmungen erlauben römisches Kollar, Oratioranerkragen oder „in begründeten Ausnahmefällen“ dunklen Anzug mit Kreuz. Laut Direktorium über Dienst und Leben der Priester muss Priesterkleidung „falls sie nicht die Soutane ist, verschieden von der Art der Kleidung der Laien“ sowie „konform der Würde und Sakralität des Amtes“ sein. Vom „Geist des Konzils“ bewegte Priester loben Gemeindepfarrer in Jeans und T-shirt aber als „Hirten mit dem Geruch der Schafe“.  Sie bedenken nicht mehr den Zusammenhang zwischen dem Anziehen des kirchlichen Kleides und dem Anziehen des neuen Menschen, nämlich Jesu Christi selbst (vgl. Gal 3,27; Eph 4,24; Kol 3,10), durch, mit und in dem doch der Priester seinen heiligen Dienst vollzieht. Sie sehen in Kleidung, die der erwähnten Norm folgt, einen „Machtanspruch“, als verqueres Eigenbild des Priesters, dass er etwas „Besseres“ sei. So berichtete unlängst das offiziel-inoffizielle Organ der Deutschen Bischofskonferenz, katholisch.de. Der Journalist Martin Meier-Schnüriger schrieb neulich im Schweizerischen Internetmedium swisscath: „Abgesehen davon, dass dieser Kragen kein bequemes Ding ist, den Hals einengt, kratzt und im Sommer Schweiss treibend wirkt und sogar Entzündungen hervorrufen kann, ist es für jemanden, dem es um sein Ansehen geht, wenig ratsam, sich als Priester zu outen“ Christian Stadtmüller, Priester im Bistum Würzburg, schrieb in „Christ in der Gegenwart“: „Ich bin schon oft genug beschimpft und bespuckt worden. Wenn hier von ,elitär‘ die Rede ist, kann ich nur kontern: Ihr habt doch keine Ahnung. Im Stadtgetümmel bin ich schon mit Wörtern beleidigt worden, die mich mit Missbrauchstätern in eine Reihe stellen“. Manche Medien befeuern solche Reaktionen. Ob Alfred Berchtold wohl zu seinen Lebzeiten angesichts ähnlicher Vorkommnisse wohl bereits an seine eigenen Erfahrungen gedacht hat?

Klemens Hogen-Ostlender